Ein inhaltlicher Beitrag zur Förderung demokratischer Schulkultur mit vielen Beispielen zur Umsetzung von Ulrike Kahn, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes.

Die Schule als Bildungsinstitution in einer demokratischen Gesellschaft hat die Aufgabe, Kinder und Jugendliche »demokratisch zu erziehen«, so steht es in den Schulgesetzen aller Bundesländer. Da der Unterricht der wesentliche Bestandteil der Schule ist, ist der Fokus des Demokratielernens auf das WIE und WAS des Lernens der Kinder und Jugendlichen zu richten. Ein demokratischer Habitus kann jedoch nicht gelehrt werden, er kann nur durch Handeln gelernt, durch eine eingelebte Praxis erworben werden. Die Schule – und damit ist vor allem auch der Unterricht gemeint – hat die Verpflichtung, Gelegenheitsstrukturen zum demokratischen Handeln und zur Partizipation zu bieten, in denen Anerkennung, Selbstwirksamkeit und soziale Verantwortungsübernahme eingeübt und gefördert werden können.

Was bedeutet das WIE und WAS beim Demokratielernen im Unterricht konkret?

Durch die Diskussion um die Inklusion steht das WIE wieder stärker im Mittelpunkt: Individualisierung heißt aber, dass jedes Kind nicht für sich alleine lernt, sondern die Kinder beim Kooperativen Lernen Möglichkeiten des vernetzten Arbeitens im Schüler*innenteam als aktive Subjekte nutzen (Index für Inklusion, Bereich C 1 – Lernarrangements organisieren, www.inklusionspaedagogik.de). Die traditionellen Formen eines konkurrierenden oder individualisierten Lernens werden abgelöst durch »Kooperatives Lernen in heterogenen Gruppen« als Lernform der Zukunft (1). Die unterschiedlichen Fähigkeits- und Leistungsniveaus der Schüler/innen sind als Ressourcen und nicht defizitär zu sehen.

Darüber hinaus ist die Partizipation der Kinder und Jugendlichen ein weiterer wichtiger Aspekt des WIE, der Motivation, Lernwille und Selbstwirksamkeitsüberzeugung entfacht und damit die Lernerfolge steigert: Kinder machen Vorschläge, wie der Unterricht gestaltet werden kann. Kinder zeigen anderen Kindern, was sie entwickelt und gelernt haben und präsentieren dies in Kinderkonferenzen. Hierzu gibt es z.B. ein umfassendes Methodenmaterial des Demokratiepädagogischen Wertecurriculums »Hands across the Campus« (www.wertebilden.de).

Aber auch das WAS kann gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen gestaltet werden. Alle Rahmenlehrpläne lassen den einzelnen Schulen einen großen Gestaltungsspielraum. Die Schulgesetze der Bundesländer wünschen ausdrücklich die Beteiligung der Schüler*innen an Planung und Gestaltung des Unterrichts. Da die Partizipation als Anspruch an die Lern- und Schulkultur verstärkt durch die 20-jährige Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention und die Diskussion um die Inklusion immer mehr Beachtung findet und finden wird, ist auch die bisherige Praxis der schuleigenen Curricular zu überdenken, denn sie lassen für die Beteiligung von Schüler*innen wenig Raum, um die aktuellen lebensnahen und tagespolitisch aktuellen Themen einzubringen: Kinder wollen z.B. bei Katastrophen und Unglücken helfen. Sie entwickeln ein Hilfsprojekt, organisieren einen Spendenbasar etc. Dabei lernen sie grundlegende Fertigkeiten und entfalten ihre sozialen, moralischen und demokratischen Kompetenzen, aber sie entwickeln auch aus der Selbstwirksamkeitsüberzeugung Verantwortung und Engagement für das schulische Leben und das Leben in der Gemeinde.

Sind diese Vorschläge denn umsetzbar? Grundsätzlich ist zu vermerken, dass sich in der Grundschule der tägliche Morgenkreis eignet, die Kinder nach ihren Interessen zu fragen, um diese in die tägliche Arbeitsplanung einfließen lassen zu können. Bei älteren Schüler/innen ist es wünschenswert, dass als Einstieg in jedes Unterrichtsvorhaben nach den Interessen gefragt und gemeinsam überlegt wird, wie diese mit dem Thema des Unterrichtsvorhabens verknüpft werden können. Es gibt zahlreiche erprobte motivierende Methoden, die eine anfängliche Sprachlosigkeit überwinden helfen.

Was in vielen Grundschulen bereits demokratische Praxis ist, ist in Schulen der Sekundarstufe I und II noch nicht etabliert. Hier gibt es aber sog. Leuchttürme: Schulen, die z.B. mit dem Wochenplan, den Lernbüros und fest im Stundenplan integrierten Projektstunden arbeiten. Auch gibt es für die partizipative Leistungsbewertung gute Beispiele. Am offensivsten vertritt das Kultusministerium Rheinland-Pfalz den Anspruch der Partizipation online:

»Empirische Untersuchungen und Befragungen belegen außerdem, dass sich durch eine partizipative Unterrichtskultur Wohlbefinden und Motivation der Schülerinnen und Schüler und ihre Bereitschaft, sich mitverantwortlich zu fühlen in erheblichem Maße verbessern (2). Nicht zuletzt ist Partizipation im Unterricht ein leistungsförderndes Element. Dies ist durch Studien der Schul- und Unterrichtsforschung und durch Schul- und Modellversuche belegt (3). Auch zur Qualitätssteigerung muss die Belehrungs- und Instruktionskultur von Schule und Unterricht eine stärkere Ausbalancierung in Richtung einer demokratischen, lernorientierten Gestaltung erfahren.« (http://demokratielernenundleben.rlp.de).

Das Demokratielernen im Unterricht und eine demokratische Schulkultur stärken und entwickeln sich gegenseitig: Eine demokratische Schulkultur ist durch demokratische Werte und Kommunikationsformen geprägt. Sie bietet allen Beteiligten vielfältige Möglichkeiten zur Mitsprache, Mitgestaltung und Mitbestimmung in bedeutsamen Fragen und Themen. Anerkennung, Partizipation und Verantwortung, Bildungsgerechtigkeit sowie Toleranz bilden Leitorientierungen für die schulische Praxis und für die Schulentwicklung. Sie verfügt über ein institutionell verankertes Verfahren zur konstruktiven Konfliktbearbeitung bzw. zur Mediation, institutionalisierte Beteiligungsstrukturen, eine aktive Schüler*innenvertretung in einer abgestimmten Kommunikation mit den Klassenräten, Rituale der Anerkennung von Arbeitsergebnissen sowohl in den Lerngruppen wie in der Schulöffentlichkeit, eine Einbindung in die lokale und regionale Bildungslandschaft, Kooperationen mit externen Partnern wie zivilgesellschaftlichen Akteuren, sozialen Einrichtungen, verschiedenen Bildungseinrichtungen und Unternehmen.

Insgesamt wird durch die Lehrkräfte und das pädagogische Fachpersonal angeregt, dass die Qualitätsstandards Partizipation, Inklusion und Diversität in der Schul- und Lernkultur durch alle Beteiligten der Schule als Leitidee gestützt und verwirklicht werden.

Die Möglichkeiten der Fortbildung für Lehrkräfte sind von Bundesland zu Bundesland verschieden ausgeprägt, denn Bildung und Lehrkräftefortbildung ist Ländersache. Die Diskussion um Demokratielernen in der Schule hat das BLK-Programm “Demokratie lernen und leben” (2002 bis 2007) angestoßen und wesentliche Entwicklungsmöglichkeiten durch die Demokratiepädagogik aufgezeigt, die durch das Programm »Ganztägig lernen« in vielen Schulen nachhaltig implementiert wurden.

Am konsequentesten ist dies in Rheinland-Pfalz und Hessen durch die Netzwerke Partizipation und das Projekt Gewaltprävention und Demokratielernen (GuD) des hessischen Kultusministeriums umgesetzt. Alle Landesinstitute bieten Lehrkräften, aber auch Tandems von Lehrkräften und pädagogischem Fachpersonal Fortbildungen an. Allerdings fehlen längerfristige Fortbildungsangebote, bei denen die Fortzubildenden berufsbegleitend ihre Rolle als “Lernbegleiter*in” und “partizipativer Coach” einüben und reflektieren können, denn eine demokratisch verfasste Schule benötigt Lehrkräfte, die in der Lage sind, für sich einen Perspektivwechsel einzuleiten. Das eigene Verhalten reflektieren und bilanzieren, konstruktive Rückmeldungen zu geben – und auszuhalten – das will gelernt sein, ebenso wie das Aushalten von Feedback von Schüler*innen, die ja auch erst eine konstruktive Rückmeldung lernen müssen. Hierzu wäre es natürlich wünschenswert, wenn den Lehrkräften auch die Möglichkeit der Supervision gegeben würde.

In Berlin haben sich die zweijährigen Fortbildungen für Schultandems bewährt, die im Rahmen der Implementierung des Grundwertecurriculums »Hands for Kids« und »Hands across the Campus« durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport, das American Jewish Committee, die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. und das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) angeboten werden. Darüber hinaus wird allen Berliner Oberschulen die Einführung des Klassenrates durch eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. mit den o.g. Kooperationspartnern und der Serviceagentur Berlin »Ganztägig Lernen« empfohlen: Lehrkräfte, pädagogisches Fachpersonal lernen gemeinsam mit Schüler*innen die Rituale des Klassenrats kennen, um diese dann in die Schule zu implementieren. Unterstützt wird dieser Prozess längerfristig durch den »Runden Tisch Klassenrat«, der die Schulen in der Qualitätsentwicklung des Klassenrats unterstützt.

 

Aktuelle Ausblicke zur Demokratiepädagogik und Demokratieförderung

Durch die besonderen gesellschaftlichen Herausforderungen der letzten beiden Jahre seit 2015 und dem damit verbundenen Erstarken von Rechtspopulismus und demokratiefeindlichen Ideologien findet die Notwendigkeit einer demokratischen Bildung eine stärkere Beachtung in allen Bundesländern. Aktuell sollen drei Projekte sowie die in Gründung befindliche Bündnisinitiative hervorgehoben werden: Im Bereich der Lehrkräftefortbildung werden fast in allen Bundesländern Möglichkeiten der Demokratieförderung aufgezeigt. Hervorzuheben sind vor allem die Programme, die langfristig angelegt sind, um eine Reflexion der pädagogischen Praxis und eine nachhaltige Wirkung zu ermöglichen wie z. B. das buddY-Programm Kinderrechte. Das buddY-Programm Kinderrechte ist eine Fortbildung für pädagogische Fachkräfte von Grundschulen. Es wurde von EDUCATION Y in Kooperation mit UNICEF Deutschland entwickelt und rückt jedes Kind als Subjekt und Rechtsträger in den Blickpunkt von Schulentwicklung. Das Programm unterstützt, dass Kinderrechte im täglichen Fachunterricht und in außerunterrichtlichen Angeboten platziert und in das Bewusstsein aller am Schulleben Beteiligten gerückt werden können. Es steht seit dem Schuljahr 2015/2016 allen Grundschulen in NRW offen, über 80 Schulen haben bereits daran teilgenommen. Die Fortbildung dauert in der Regel eineinhalb Jahre und umfasst sieben Trainingstage sowie einen pädagogischen Tag für die gesamte Schule.

 

OPENION – für eine starke Demokratie

In dem Programm OPENION – für eine starke Demokratie kooperieren die deutsche Kinder- und Jugendstiftung mit der DeGeDe und Demokratisch Handeln, das aus Mitteln des Programms Demokratie leben! des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird. Bei OPENION geht es darum, Demokratie als gesellschaftlichen Aushandlungs- und Gestaltungsprozess erfahrbar zu machen – und zwar mit den Kindern und Jugendlichen zusammen in ihren Lebensräumen. Partizipation, Begegnung und die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen wie Digitalisierung und Migration stehen dabei im Vordergrund.

In über 200 Projektverbünden, bestehend aus einer Kooperation zwischen Schule und außerschulischem Partner, erproben Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 16 Jahren zusammen mit ihren erwachsenen Begleiterinnen und Begleitern zeitgemäße Formen der Demokratiebildung. Durch kreatives Ausprobieren und mutiges Selbermachen entstehen so neue Impulse für die Demokratiebildung in ganz Deutschland. Die Preisträgerin aus dem Jahre 2017 hat deutlich gemacht, dass man auch in einer staatlichen Regelschule von demokratischer Verfasstheit sprechen darf und kann (www.openion.de).

 

Der Preis: DemokratieErleben – Preis für demokratische Schulentwicklung

Der von der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik ausgelobte Preis »DemokratieErleben« bietet eine Orientierung für alle, die ihre Schule zu einer demokratischen Schule entwickeln wollen. Der Preis wird alle zwei Jahre vergeben. Die nächste Bewerbungsfrist endet im April 2019. Die Ausschreibungsbedingungen sind online www.degede.dezu finden.

Die Bochumer Schiller Schule hat ihre konzeptionelle Arbeit unter das Dach der UNESCO-Schule gestellt. Ihre Schwerpunkte beziehen sich aufeinander: Partizipation und Verantwortung heißt nicht nur Klassenrat sondern Feedbacksysteme, Engagement in der Kommune, Parlamentssimulationen, Planspiele etc.

 

Soziales Lernen

ist als Fach in den Jahrgängen 5-9 verankert. Vom Fach gehen weitere Aktivitäten und Projekte aus wie z.B. Schülerstreitschlichtung, Mobbingprävention, Schülerpaten, Ordnungs- und Reinigungsdienst und die Beratung zu allen Problemen der Schülerinnen und Schüler aus. Demokratisches Lernen weist sich durch individualisiertes Lernen, kooperatives Lernen als auch die Selbsteinschätzung der Schüler*innen und weitere Aktivitäten aus. Die Anerkennungs- und Wertschätzungskultur mit ihren Elementen ist das Wesen dieser demokratischen Lern- und Schulkultur. Aber auch die beiden weiteren Preisträgerinnenschulen: die Möhnesee-Schule, Möhnesee und die Grundschule Grumbrechtsstraße, Hamburg haben diese Anerkennung verdient.

(www.degede.de/demokratiepreis2017.0.html)

 

Das Bündnis »Bildung für eine demokratische Gesellschaft«

Das Bündnis setzt sich dafür ein, »Bildung für eine demokratische Gesellschaft

« langfristig, nachhaltig und flächendeckend zu verankern – denn das Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft will gelernt werden. Das Bündnis will diesem zentralen Bildungsziel in den Bildungseinrichtungen, der Politik, der Bildungsverwaltung und der Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit geben, die es verdient. Nur dann können alle Kinder und Jugendlichen lernen und erfahren, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben und sie mitzugestalten. Die Gründung des Bündnisses findet am 11.Juni in Berlin statt.

 

Anmerkungen

Dieser Gastbeitrag ist eine überarbeitete Fassung des 2015 unter demselben Titel in »Demokratie lernen — Eine Aufgabe der Schule?!« erschienenen Artikels (Hrsg. Ute Erdsiek-Rave, Marei John-Ohnesorg, Netzwerk Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2015, S. 36-41).

(1) Vgl. Weidner 2005

(2) Böhme/Kramer 2001

(3) Oser, F./ Dick, A./ Patry, J. L 1992, Schirp, H. 1999

Literaturverzeichnis

Böhme, Jeanette/ Kramer, Rolf-Torsten (2001): Partizipation in der Schule. Theoretische Aspekte und empirische Analysen. Wiesbaden.

Oser, Fritz/ Dick, Andreas/ Patry, Jean-Luc (1992): Effective and responsible teaching: The new Synthesis. San Francisco.

Schirp, Heinz (1999): Werteerziehung und Schulentwicklung. Konzeptuelle und organisatorische Ansätze zur Entwicklung einer demokratischen und sozialen Lernkultur. Berlin.

Weidner, Margit (2005): Kooperatives Lernen in der Schule: Das Arbeitsbuch. Seelze.

 

von Ulrike Kahn, 05.2018