Kurze Vorstellung der drei Preisträger-Schulen des DemokratieErleben Preises – Der Preis für demokratische Schulentwicklung aus dem Jahr 2017. In diesem Jahr erhielten eine Grundschule, eine Sekundarschule und ein Gymnasium den Preis.

1. Platz: Schiller Schule, Bochum

Das Dach aller Aktivitäten des Gymnasiums bilden die Schwerpunkte der UNESCO für die allgemeine Bildung:

Menschenrechtsbildung und Demokratieerziehung
Interkulturelles Lernen, Zusammenleben in Vielfalt
Bildung für eine nachhaltige Entwicklung
Globales Lernen und globale citizenship
Freiheit und Chancen im digitalen Zeitalter
Welterbeerziehung

Vermittelt über ihre pädagogischen Leitideen, ihre Bildungsziele und ihre Vorstellungen vom Zusammenleben in der Schule entwickelt die Schiller Schule die Schwerpunkte ihrer Arbeit, die systematisch ineinander greifen: Soziales Lernen, Verantwortung und Partizipation, individualisiertes Lernen, ein schulinternes Curriculum mit demokratiepädagogischen Themen – und eine Anerkennungs- und Wertschätzungskultur, die der Schulleiter als Sahnehäubchen der Schulkultur bezeichnet.

Diese Schwerpunkte können hier nur mit einigen Stichworten charakterisiert werden, interessant sind die Konzeptionen für die einzelnen Programme, die auf der Homepage der Schule eingesehen werden können.

Partizipation und Verantwortung beginnen beim Klassenrat über die offene Schülervertretung, Stärkung der Klasse als Team, diverse Aktivitäten der SchülerInnen innerhalb und außerhalb der Schule, Feedbacksysteme, Engagement in der Kommune, Parlamentssimulationen, Planspiele bis hin zur Konfrontation und Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Eine „AG Demokratieerziehung“ aus LehrerInnen und SchülerInnen steuert die Aktivitäten und entwickelt sie weiter.

Soziales Lernen ist als Fach in den Jahrgängen 5-9 verankert; das Curriculum orientiert sich an Lions Quest. Vom Fach gehen weitere Aktivitäten und Projekte aus wie z.B. Schülerstreitschlichtung, Mobbingprävention, Schülerpaten,  Ordnungs- und Reinigungsdienst und die  Beratung zu allen Problemen der Schülerinnen und Schüler.

Dass Lernen auch demokratisch gestaltet werden kann, zeigt sich  im individualisierten Lernen. Kooperatives Lernen und Programme zur individuellen Förderung (Begabungsförderung, gezielte Arbeit an Defiziten, individuelle Lernzeit, Lerninseln), Selbsteinschätzung der SchülerInnen, Feedbacksysteme und Schülersprechtage werden praktiziert.

Das schulinterne Curriculum integriert die UNESCO-Bildungsschwerpunkte in allen Fächern und allen Schulstufen und wurde unter Beteiligung von Schülerinnen und Schüler entwickelt.

Die Anerkennungs- und Wertschätzungskultur wirkt wie ein Treibstoff für die Aktivitäten der SchülerInnen und LehrerInnen. Regelmäßig gibt es wertschätzende Rückmeldungen zu Aktivitäten von LehrerInnen bzw. SchülerInnen in den Konferenzen bzw. mit der Zeugnisausgabe sowie öffentliche Präsentationen. Zur Anerkennungs- und Wertschätzungskultur gehören auch die Mitarbeitergespräche und ein ausgefeiltes, transparentes Informations- und Kommunikationsmanagement.

Was ist – aus ganz subjektiver Sicht – das Besondere, das die Schiller Schule auszeichnet? Einmal, dass sie aus einer Bildungsidee, nämlich den UNESCO – Bildungsschwerpunkten, ihre Programme und Konzepte entwickelt hat, bis hinein in das schulinterne Curriculum; dann ihre offenbar so wirksame  Anerkennungs- und Wertschätzungskultur und schließlich die Steuerung der Entwicklung durch eine mit LehrerInnen und SchülerInnen besetzte AG Demokratieerziehung.

2. Platz: Integrative Grundschule Grumbrechtsstraße, Hamburg 

Sie ist eine sechsjährige Grundschule mit Vorschule, gebundenem Ganztag im Aufbau, Schwerpunktschule für Inklusion und fest im Stadtteil verankert. Ihre miteinander verbundenen Schwerpunkte sind Partizipation, Inklusion sowie der anerkennende Umgang mit Diversität. Die Förderung demokratischer Kompetenzen durchzieht alle Schulbereiche und kulminiert in den genannten Schwerpunkten.

Partizipation der SchülerInnen, Eltern und PädagogInnen
Grundlage für die Beteiligung aller Gruppen sind klare Strukturen formeller und informeller Gremien. Exemplarisch seien die Strukturen für die SchülerInnen genannt und einige davon anschließend erläutert.  Für die SchülerInnen sind das der Klassenrat, die Lerngruppensprecher, das Schülerparlament, Schulsprecher, Schulkonferenz, die Wahl von Projekten,  Arbeit als Streitschlichter, die Mitwirkung in informellen Ausschüssen wie zum Ganztag und zur Inklusion.

Das Schülerparlament besteht aus allen LerngruppensprecherInnen und trifft sich alle sechs Wochen zu allen Themen, die in den Lerngruppen aufgekommen sind. Die Sitzungen werden natürlich vorbereitet und die Tagesordnung vorher veröffentlicht. Die Sitzungen werden maßgeblich von den SchülerInnen, die dafür qualifiziert werden, geleitet. Die Beschlüsse – Fragen und Wünsche – werden in einem Protokoll  festgehalten und mit der Schulleitung besprochen. Außerdem treffen sich alle LerngruppensprecherInnen dreimal pro Schuljahr zum Kennenlernen, zur Information, Ideensammlung und Umsetzungsplanung Einen curricularen Bezug der Partizipation bilden die im Unterricht Gesellschaft verankerten Kinderrechte.

Inklusion
Die Grundlage bildet das individualisierte Lernen in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen (1-2,3-4,5-6). Der Unterricht wird strukturiert durch Basis- und Projektunterricht. Der Basisunterricht umfasst die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch mit individualisierten Basisplänen. Im Projektunterricht werden alle anderen Fächer zusammengefasst. Damit werden strukturell deutlich unterschiedliche Arbeitsweisen verankert und der Stundenplan übersichtlich gehalten.

Gefördert wird das kompetenzorientierte Lernen durch den langfristigen Schulversuch „Alles Könner“, in dem aktuell Instrumente zur Rückmeldung entwickelt werden: Lernentwicklungsgespräche, Lerntagebuch, Portfolioinstrumente, Selbsteinschätzung und Reflexionsgespräche, Schüler-Schüler und Lehrer-Schüler Feedback sowie kompetenzorientierte Rückmeldung zum Übergang in eine weiterführende Schule.

Auf dieser Basis entwickelt die Schule ihre inklusive Praxis, steuert und reflektiert diesen Prozess durch eine offene AG Inklusion  und hat sich mit dem Schullabor Inklusion (schulen-gestalten-zukunft.de) externe Unterstützung geholt.  Die sechsjährige Grundschule halten die Pädagogen für eine notwendige Rahmenbedingung der Inklusion.

Weitere externe Angebote für die SchülerInnen mit ihren unterschiedlichen Interessen- und Leistungshorizonten sind z.B. kulturell-ästhetische Projekte (TUSCH, Hamburg) und Kinderforscher (TU Hamburg-Harburg).

Anerkennender Umgang mit Diversität
Die SchülerInnen tragen die soziale und kulturelle Heterogenität des Stadtteils in die Schule und diese nimmt sie umfassend und sensibel auf durch ihr Leitbild, ihr Schulprogramm, die Praxis der Beteiligung besonders von Eltern und SchülerInnen, die Lernkultur, Inklusion, Ganztag und ihre Verknüpfung mit dem Stadtteil. Schulvertreter arbeiten in den  kommunalen Planungsgremien und gestalten Aktivitäten  im Stadtteil mit.

Was macht diese Schule – wieder aus ganz subjektiver Sicht- besonders? Sicher die langfristige Entwicklung eines kompetenzorientierten Unterrichts, der auf alle Bereiche der Schule ausstrahlt und Partizipation, Inklusion und den Umgang mit Diversität ermöglicht; die Verankerung demokratiepädagogischer Inhalte, nämlich der Kinderrechte, im Curriculum;  schließlich die Qualifizierung der SchülerInnen zur Beteiligung und die Offenheit im Umgang mit ihren Fragen, Wünschen und Interessen.

ebenso 2. Platz: Möhnesee-Schule, Möhnesee 

Sie versteht sich als regionale Schule im ländlichen Raum. Gegründet als Hauptschule wurde sie Verbundschule und entwickelt sich nun  zur Sekundarschule mit äußerer Fachleistungsdifferenzierung. Dabei werden Programme aus der Zeit der Hauptschule bewahrt und weiterentwickelt. Eine wissenschaftliche Begleitung unterstützt diesen Prozess.  Die Schule ist in der Großgemeinde verwurzelt und gestaltet die kommunale Entwicklung mit.

Demokratische Kompetenzen haben  eine  soziale, eine moralische und eine partizipatorische Dimension. Sie werden direkt und indirekt in allen Bereichen der Schule, sichtbar vor allem in der Schul- und Lernkultur, gefördert.

Vielleicht ist ein Programm zum Einstieg in die fünfte Jahrgangsstufe, das bis zur siebten Jahrgangsstufe fortgeführt wird, für die Werte und die Entwicklung der Schule charakteristisch:  „Starke Seiten“ , so heißt das Programm, hat drei Schritte und kann, wenn SchülerInnen es wünschen, mit einem weiteren Element fortgesetzt werden : Die Schülerinnen und Schüler beschreiben in einem Portfolio all ihre Stärken – nicht nur Stärken im Lernen, sondern in allen Lebensbereichen; in einer „Arena der unbegrenzten Möglichkeiten“ demonstrieren sie diese; im weiteren Verlauf beurteilen sie ihre Stärken durch Selbst- und Fremdeinschätzung und haben dann in der Schule den Raum, ihre Stärken in Interessengruppen und Projekten weiterzuentwickeln; darüber hinaus bietet die Schule curricular „stärkenorientierte“ Profile an (MINT, Fremdsprachen, kulturell-ästhetische Aktivitäten).  Die Kinder und Jugendlichen erleben also unabhängig von den Unterrichtsfächern Anerkennung, entwickeln Selbstbewusstsein und erfahren, dass sie die Schule mitgestalten können. Dieses Konzept, entstanden aus dem Berufsorientierungsunterricht zu Hauptschulzeiten, wird so zu einem wichtigen Element der Förderung demokratischer Kompetenzen.

Es ist natürlich nur ein Element in der Gesamtkonzeption, die durch die Orientierung an den Bedürfnissen nach Anerkennung, Partizipation und Kompetenzerfahrung sowie nach Sicherheit für jede und jeden einzelnen in der Schule charakterisiert werden kann. Dem Bedürfnis nach Sicherheit wird Rechnung getragen, indem nicht tolerierbares Verhalten klar definiert und sanktioniert wird; die SchülerInnen werden dafür im Unterricht sensibilisiert (FAIR-Konzept).

Basis der Schule ist eine systematische  Förderung des individualisierten Lernens in den Jahrgangsstufen 5-9, die umfassende Beratung aller Schülerinnen und Schüler sowie die Verbindung von formellem und informellem Lernen durch vielfältige Kooperationsbeziehungen, durch Übernahme von gemeindlichen Aufgaben, z.B. bei der Unterbringung und Beschulung von Geflüchteten, sowie durch Vorschläge aus Kinder- und Jugendsicht zur Gestaltung der Großgemeinde, die von der Schülervertretung  in institutionalisierten vier Gesprächsrunden pro Jahr mit dem Bürgermeister vorangetrieben werden.

Eine Empfehlung für andere Schulen ist die elaborierte Lernberatung. Datengrundlage sind kontinuierliche Lernstandserhebungen sowie Beobachtungen zum allgemeinen Lern- und Sozialverhalten, die beide auf  Kompetenzrastern basieren, verbunden mit einem regelmäßigen Feedback an die Schülerinnen und Schüler. All diese Daten werden direkt für differenzierte Aufgabenstellungen, Fördermaßnahmen und darüber hinausgehende Unterstützungen genutzt. Halbjährlich wird  auf dieser Datengrundlage ein diagnostischer Lernentwicklungsbericht geschrieben, der auf Schülersprechtagen diskutiert wird. Daraus können sich dann Förderpläne ergeben, Lernverträge geschlossen werden, Projekte geplant werden u.v.m. Diese hier kurz skizzierte Lernkultur ist auch die Basis für die Inklusion.

Wieder aus subjektiver Sicht sind die regionale Verwurzelung und Offenheit für kommunale Aktivitäten, die systematische Beratung und Lernförderung sowie die unabhängig von Fachleistungen praktizierte Stärkenorientierung das Besondere dieser Schule.

Die drei Schulen sind zu unterschiedlich, um sie zu vergleichen, trotzdem ist es bemerkenswert, dass alle – mit unterschiedlichen Konzepten, Instrumenten und Methoden – gleiche Schwerpunkte verfolgen. Soziales Lernen, Partizipation im Schulleben und Lernen, Individualisierung des Lernens, Aktivitäten in der Kommune und weit darüber hinaus, in Ansätzen auch ein schulinternes Curriculum mit integrierten demokratiepädagogischen Inhalten, ebenso vermutlich in Ansätzen eine Kultur der Anerkennung – diese Schwerpunkte werden in allen Schulen praktiziert und kontinuierlich weiterentwickelt. Alle drei sind inklusive Schulen, auch das Gymnasium versteht sich so, obwohl es keine inklusive Schwerpunktschule werden durfte.

Die Schulen demonstrieren, was Demokratiepädagogik in der Schulentwicklung leisten kann, und bieten anderen Schulen Anregungen für ihre eigene Entwicklung. Neben den einzelnen Konzepten und Aktivitäten der Schulen  sind dies  – wieder aus subjektiver Sicht –   die Entwicklung schulinterner Curricula mit demokratiepädagogischen Schwerpunkten, die Steuerung demokratischer Schulentwicklung durch eine AG aus LehrerInnen, SchülerInnen (und weiteren Gruppen) sowie das systematische Ineinandergreifen der Handlungsschwerpunkte der Schulen.

Der Text ist ein Auszug aus der Dokumentation für den 3. Bundesweiten Demokratietag und der Preisverleihung 2017 in Berlin in der Heinrich-Böll-Stiftung.

von Hermann Zöllner, 04.2018