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Digitale Transformation – Digitalität

Die digitale Transformation, die unsere Zeit prägt, verändert die gesamte menschliche Lebens- und Arbeitswelt grundlegend. Sie geht damit deutlich hinaus über die bloße Digitalisierung, also über die Umwandlung analoger Daten in Bits und Bytes. Die gravierenden gesellschaftlichen Veränderungsprozesse der digitalen Transformation gehen mit einer „Singularisierung“ (Andreas Reckwitz), einer „Quantifizierung des Sozialen“ (Stefan Mau) und einer gezielten Datenanalyse von Big Data einher. Prägend für diesen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel sind die drei „V“: volume, velocity, variety. Diese verweisen auf den ständig wachsenden Umfang der Daten (volume), die gesammelt und gespeichert werden, die Geschwindigkeit (velocity), mit der die Informationen generiert und ausgewertet werden, sowie die Vielfalt an Datenquellen und -typen (variety), die sich durch Algorithmen systematisch ordnen und auswerten lassen.  

Für die Demokratiepädagogik ergeben sich aus der digitalen Transformation Chancen und Herausforderungen. Mit den neuen technischen Möglichkeiten ist die Hoffnung verbunden, dass sie Bürger*innen dazu ermächtigen kann, sich relevante Informationen selbst zu erschließen und zu verbreiten, gesellschaftliche Diskussionen anzustoßen oder in ihnen Position zu beziehen, wichtige Missstände aufzudecken sowie eigene Anliegen öffentlich zu artikulieren und gegebenenfalls Protest zu mobilisieren.  

Die bisher zentralen Akteur*innen der öffentlichen Kommunikation können die Verbreitung von Ideen und Botschaften nicht mehr kontrollieren und haben folglich ihre Funktion als Gatekeeper*innen weitgehend verloren. Für Felix Stalder ist die grundsätzliche Unübersichtlichkeit das zentrale Kennzeichen der Welt in der digitalen Transformation. Die „Kultur der Digitalität“ (Stalder 2016) wird ihm zufolge durch die Aufgabe der Filterung der Informationen und damit der Orientierung geprägt. Drei Formen des Ordnens seien dabei: Referentialität (Erstellen eines persönlichen Bezugssystems), Gemeinschaftlichkeit (Zusammenschlüsse von grundsätzlich gleichberechtigten Personen, die gemeinsame Ziele verfolgen wollen) und Algorithmizität (Transformation der unüberschaubaren Daten- und Informationsmengen durch Maschinen). Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität sind laut Stalder Grundformen der Digitalität. Durch sie kann jede*r Einzelne sich selbst und die Welt konstituieren und begreifen, doch zugleich stellt uns ihre Allgegenwärtigkeit vor enorme Herausforderungen (Stalder 2016).  

Das Spektrum der Positionen, die heute in die Öffentlichkeit gelangen, ist um ein Vielfaches größer als früher. Mit sozialen Medien kann auch aus einer marginalisierten Position heraus ein Agenda-Setting gelingen. Allerdings weisen Claudia Ritzi und Alexandra Zierold darauf hin, dass emanzipatorisches Handeln auf digitalen Plattformen nicht nur von dem*der Sender*in einer Nachricht abhängt, „sondern auch davon, dass sich genügend andere finden, die die Nachricht weitertragen wollen“ (Ritzi/Zierold 2020, S. 39).  

Für demokratiepädagogische Lernräume gibt es zahlreiche digitale Tools zur Beteiligung am Dialog in der Lerngruppe oder der Gesellschaft, um die Vielfalt der Positionen sichtbar zu machen. Selbstverständlich ist nicht jede Position konstruktiv oder begrüßenswert. Leider setzen sich in öffentlichen Diskursen sachliche, faktenbasierte Ausführungen nur selten gegen emotionale und ideologische Aussagen durch. So laufen diese Diskurse Gefahr, manipuliert zu werden, auch und gerade durch Social Bots. Zusätzlich ist durch die Anonymität im Netz die Hemmschwelle, andere zu beleidigen oder Hatespeech zu verbreiten, deutlich geringer. Zwar verursacht das Internet aggressives und menschenfeindliches Verhalten nicht, aber es bestärkt es durch die Vernetzung antisozialer und/oder gewaltaffiner Milieus. 

Weit verbreitete Phänomene wie Identitätsdiebstahl durch Account Hijacking, Cyberangriffe zur Manipulation von Wahlen oder von zentralen Infrastruktureinrichtungen wie Versorgungs- oder Verkehrsnetzen oder die Machtkonzentration bei Internetkonzernen sind ebenfalls Auswirkungen der digitalen Transformation, die eine Herausforderung für die Demokratie darstellen können. 

Demokratiepädagogik muss ein Lernen über, durch und für die digitalisierte Demokratie ermöglichen (Simon/Peschel 2023). Es muss gelingen, Lehr- und Lernprozesse so zu transformieren, dass sie die Lernenden auf diese immer komplexere und sich permanent verändernde Welt vorbereiten. Besonders wichtig sind dabei die Förderung von Informationskompetenz und Ambiguitätstoleranz sowie die Ermöglichung von analogen und digitalen Selbstwirksamkeitserfahrungen. Dabei muss aber auch darauf geachtet werden, dass Unterschiede in den digitalen Nutzungspraktiken und -kompetenzen zwischen den sozialen Gruppen abgebaut werden, um eine demokratische Schieflage zu verhindern. 

Dazu muss eine spezifische demokratischen Medienbildung bzw. mediale Demokratiebildung – auch als verpflichtender Teil in allen Phasen der Erzieher*innen- und Lehrer*innenausbildung – entwickelt werden. Alle Studienbereiche – Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Bildungswissenschaften und die Praxis – müssen den Erwerb relevanter digitalisierungsbezogener Kompetenzen ermöglichen.  

Medien: Literatur, Downloads, Links, Videos 
  • Boehme-Neßler, Volker (2018): Das Ende der Demokratie? Effekte der Digitalisierung aus rechtlicher, politologischer und psychologischer Sicht. Berlin: Springer. 
  • Ritzi, Claudia/Zierold, Alexandra (2020): Grenzenlos, frei und politisch? Öffentlichkeit unter den Bedingungen der Digitalisierung aus radikaldemokratischer Perspektive. In: Oswald, Michael/Borucki, Isabelle (Hg.): Demokratietheorie im Zeitalter der Frühdigitalisierung, Wiesbaden: Springer, S. 25–46. 
  • Schrape, Jan-Felix (2021): Digitale Transformation. Bielefeld: transcript. 
  • Simon, Toni/Peschel, Markus (2023): Demokratielernen in der Primarstufe. Herausforderungen der Digitalität für die Demokratie. In: Irion, Thomas/Peschel, Markus/ Schmeinck, Daniela (Hg.): Grundschule und Digitalität. Grundlagen, Herausforderungen, Praxisbeispiele. Frankfurt/M.: Grundschulverband.  
  • Stalder, Felix (2016): Kultur der Digitalität. Berlin: Suhrkamp.