Langfassung des Artikels „Mehr Raum für Klassenräte“ für die Berliner Lehrer*innenzeitung Schwerpunkt „Demokratie macht Schule“ in der bbz 3-4/2022.S. 14 .  Ulrike Kahn und Sabine Huffmann

Mehr Raum für Klassenräte

Wir wollen den Klassenrat als Herzstück demokratisch-verfassten Schule verankern, damit alle Schüler*innen einen demokratischen Habitus lernen und leben können.

 

Diese Vision in einer abendlichen Kneipe wurde der Wunsch kreiert von DeGeDe-Mitgliedern des Berlin-Brandenburgs und in die Tat umsetzt als Gründung der Klassenratsinitiative im Frühjahr 2021. Damals hatte aus unserer Sicht der Klassenrat in der Grundschule bereits eine Akzeptanz durch das BLK Programms „Demokratie lernen &leben aus dem Jahre von 01.04.2002-31.03.2007.
Erklärte Absicht der Klassenratsinitiative war, den Klassenrat in den Schulen der Sekundarstufe zu implementieren.

Klassenrat- was ist das?

Der Zusammenhalt in unserer demokratisch verfassten Gesellschaft basiert auf dem Konsens gemeinsam gelebter Werte und der Teilhabe aller Bürger*innen.
Demokratiebildung und Politische Bildung sind Aufgaben aller Bildungseinrichtungen mit Nachdruck von gesellschaftlicher Dringlichkeit Diesen Aufgaben stellt sich Schule, indem sie Lerngelegenheiten schafft und nutzt, Kindern und Jugendlichen Erfahrungen von Zugehörigkeit, Mitbestimmung und Verantwortung zu ermöglichen. Der Klassenrat als demokratiepädagogisches Lernarrangement bietet den Raum dafür. Er ist das Forum einer Klasse, in dem Schüler*innen über ihre Anliegen in ein ernsthaftes, beziehungsförderndes und lösungsorientiertes Gespräch kommen. Dabei werden Strategien zu Perspektivübernahme, Empathiefähigkeit, Respekt und Ambiguitätstoleranz entwickelt und eingeübt. Die klare Struktur, nach der der Klassenrat abläuft, gibt allen Beteiligten ein hohes Maß an Sicherheit, auch die Anliegen anzusprechen, die sonst ungesagt bleiben. Die demokratiepädagogischen Prozessmerkmale sind Anerkennung, Selbstwirksamkeit und Verantwortungsübernahme.

Nur wer sich anerkannt fühlt, kann selbstwirksam handeln und Verantwortung übernehmen.

 

„Wir sind klasse“ – Die Klassenratsinitiative der DeGeDe wer wohin?

Der Klassenrat ist für viele Grund- und weiterführende Schulen in Berlin nichts Neues.

Beeinflusst und begleitet durch den anerkannten Erziehungswissenschaftler Wolfgang Edelstein hat die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. in Berlin zusammen mit der Serviceagentur Ganztägig Lernen (SAG) und aus den Erkenntnissen des BLK Programms „Demokratie lernen &leben“ 2012 die Klassenratsinitiative „Wir sind klasse“ gegründet: „Wir wollen den Klassenrat als Herzstück in der Schule verankern, damit alle Schüler*innen einen demokratischen Habitus lernen und leben können. Dadurch entsteht die Chance, dass die Schule insgesamt demokratischer agieren kann und die Beteiligungsrechte der Schüler*innen ernst genommen werden.“ (www.klassenrat.org)
Die seit 2013 jährlich in diesem Rahmen stattfindende Veranstaltung „Klassenrat Team 7“ ermöglicht es Schulteams aus pädagogischem Personal und Schüler*innen der 7. Jahrgangsstufe aller weiterführenden Schulen, das Lernarrangement Klassenrat als wichtiges Beteiligungs- und Kommunikationsinstrument kennenzulernen und sie in der eigenen Schule zu etablieren.
Gemeinsam mit Partner*innen des „Bündnis Bildung für eine demokratische Gesellschaft“ schaffen wir einen erweiterten Ansatz: die Klassenratsoffensive
Die Standards für den Klassenrat in Berlin wurden im Laufe der letzten Jahre durch weitere Partner*innen aus dem Berliner „Bündnis Bildung für eine demokratische Gesellschaft“ wie z.B. Mehr als Lernen, Beteiligungsfüchse, SV-Bildungswerk und DEVI, in Kooperation mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie bereichert und ergänzt. Die unterschiedlichen Bündnispartner*innen bieten inzwischen vielfältige Angebote zur Implementierung des Klassenrates für alle Schularten und Jahrgangsstufen, Fortbildung sowie Lernmaterial von Peer-Education bis zu Studientagen an. Weitere Angebote wie

  • zwei Filme zum Klassenrat mit Berliner Schüler*innen, begleitende universitäre Forschung,
  • eine digitale Schulleitungsakademie, die bereits entwickelten,
  • Angebote für Willkommensklassen und Förderschulen haben dazu beigetragen, dass sich aus der ursprünglichen Initiative eine Klassenratsoffensive entwickeln kann.

Klassenrat -Muss das auch noch sein? – Steht das irgendwo?

  • Die UN-Kinderrechtskonvention ist seit 1992 in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft.
    Die vier Grundprinzipien der Kinderrechte Gleichheit, Schutz, Förderung und Partizipation prägen den Charakter der Konvention. Sie sind die Säulen der demokratisch-verfassten Schule und bieten die Bühne (https://www.klassenrat.org/themen-schueler-innen/) für den Klassenrat. Erwachsene und Pädagog*innen sind verantwortlich, dass alle Kinder ihre Rechte kennenlernen und leben können. Die Verankerung der Kinderrechte hat auch für die Berliner Schulen Auswirkungen. So soll an jeder Berliner Schule ein eigenes Kinderschutzkonzept entstehen als Grundlage gelebter Demokratie (aus der Sitzung des Senats am 15. Juni 2021). Um diesen Qualitätsstandard zu gewährleisten, fordert die DeGeDe die neu gebildete Koalition zur Berufung einer/s landesweiten Beauftragten für Kinderrechte und Kinderschutz auf, die/der beim Polizei- und Bürgerbeauftragten des Abgeordnetenhauses angesiedelt sein sollte.
  • Neuerdings ist der Klassenrat im Berliner Schulgesetz geregelt. (SchulG Berlin – § 84a -wirksam ab Schuljahr 2022/2023
    Vielleicht ist es vermessen zu sagen, dass die Klassenratsinitiative dabei Früchte getragen hat, vielleicht war es einfach Zeit, dass der Klassenrat im Schulgesetz verortet wird: „Den Klassen- oder Jahrgangsstufen ist innerhalb des Unterrichts mindestens eine Stunde je Schulmonat für die Beratung eigener Angelegenheiten (Klassenrat) zu gewähren. Darüber hinaus kann die Schulkonferenz festlegen, dass die Klassenräte bis zu einmal pro Schulwoche stattfinden. Die Schulleitung oder in der Klasse oder Jahrgangsstufe unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrer sollen auf Wunsch des Klassenrates an seiner Sitzung teilnehmen.“ So das Gesetz
    Die bereits gelebte Praxis zeigt, dass die Einrichtung eines wöchentlich stattfindenden Klassenrates wirksam und nachhaltig die sozialen, demokratischen und moralischen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen stärkt. Während die Grundschulen und die Integrierte Sekundarschulen die Klassenratsstunde ohne Probleme in den Schulalltag der Ganztagsschule einbinden können, müssen für die Schulform des Gymnasiums noch kreative Möglichkeiten gefunden werden. Diese sind bisher nur von einigen Gymnasien umgesetzt worden, da die feste Stundenplanorganisation dafür wenig Spielraum bietet.
  • Im Rahmenlehrplan wird die Situation im Klassenrat geschildert.
    „…..Schulkultur findet im Kontext eigener und gemeinsamer Erfahrungen statt. Dabei werden die Fähigkeiten entwickelt, verantwortlich an gesellschaftlichen und politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen teilzunehmen, eigene Intentionen zu verhandeln, unterschiedliche Interessen auszuhalten und in Konflikten demokratische Lösungen zu finden.“ (RLP, Teil B üT)
  • In den Beschlüssen der KMK wird Schule als Erfahrungsort für Demokratielernen genannt.
    Nach den Beschlüssen der KMK zur Demokratie- und Menschenrechtserziehung kann und soll sich Schule „als Ort erweisen, an dem Demokratie als dynamische und ständige Gestaltungsaufgabe auch im Spannungsfeld unterschiedlicher demokratischer Rechte reflektiert und gelebt wird.“ Empfehlung zur Demokratiebildung
    Sie profitieren vom Entwicklungspotential des Klassenrates als Basis einer demokratisch verfassten Schule.

Was haben alle an Schule Beteiligten von der Einführung des Klassenrates? 

Sie profitieren vom Entwicklungspotential des Klassenrates als Basis einer demokratisch verfassten Schule.
Kinder, Jugendliche und Pädagog*innen lernen respektvoll miteinander umzugehen und werden selbst zu Hüter*innen eines diskriminierungskritischen und diversitätssensiblen Miteinanders.

Pädagog*innen
üben sich im Loslassen, üben sich im Vertrauen und vertrauen Kindern und Jugendlichen und bilden Zuversicht hinsichtlich der Chance auf gegenseitige Entwicklungsmöglichkeiten durch Etablierung einer Feedbackkultur.

Schüler*innen
kultivieren ihre Ownership als überzeugte engagierte Einstellung für lebensweltliche und gesellschaftliche Themen und mobilisieren die Ausgestaltung einer demokratischen Lern-und Schulkultur

Alle Akteur*innen der Schule
unterstützen und wertschätzen die Kooperation der Klassenräte, der Gesamtschülervertretung, Schülerversammlungen und unterstützen nachhaltig demokratiefördernde Aktivitäten. Partizipation wird ein elementarer Wert des schulischen Lebens sowie der politisch-engagierten Reflexion. Dabei werden Weg und Ziel als Qualitätsstandard impliziert.

Zauberwerk – in sieben Schritte zum Klassenrat?

Kinder bzw. Jugendliche informieren sich mit einem Film über den Klassenrat und entscheiden, wie oft sie den Klassenrat durchführen wollen. Bekanntermaßen ist der Lernerfolg nur bei wöchentlich stattfindenden Sitzungen gegeben. Statt einer visuellen Vermittlung können auch ältere Schüler*innen als Peers den Klassenrat vorstellen und die Patenschaft für einen Klassenrat übernehmen.

Der Klassenrat ab der 1. Klasse bedarf einer unterstützenden Begleitung und in den höheren Klassen entwickeln die Schüler*innen eigenständige Anliegen und Projekte. Dabei entscheiden sie über die Präsenz ihrer Klassenlehrkräfte. Diese haben aber keine hervorgehobene Entscheidungsbefugnis.

Die Klasse erstellt einen Plan, wie der Klassenrat eingeführt werden soll.

Alle setzen sich mit den Rollen im Klassenrat auseinander.

Regeln werden gemeinsam entwickelt. Alle Ratsmitglieder verantworten einen respektvollen Umgang nach der Struktur der gewaltfreien Kommunikation. Dabei werden die Kinderrechte beachtet: Keine Beschämung, keine Ausgrenzung und keine Diskriminierung.

Die Klassenratsmitglieder überlegen Themen und Projekte nach Interesse, die im Klassenrat behandelt werden sollen. Dabei ist von A wie Antisemitismus bis Z wie Zivilcourage alles möglich. Als Unterstützung laden sie Expert*innen ein, die berlinweit von NGO´s angeboten werden.

Aus allen Klassenräte einer Schule werden Ratsmitglieder aktiv einbezogen in die Schüler*innenvertretung, um miteinander die für die Kinder und Jugendlichen relevanten und aktuellen gesellschaftlichen Themen zu diskutieren sowie Lösungsansätze für eine demokratische Schule aufzuzeigen.

Fazit: von der Initiative zur Offensive

Bildungspolitisch orientiert sich das Lernarrangement Klassenrat an den Qualitätsstandards einer demokratischen Schule. Demokratiebildung ist ein Brückenschlag zwischen politischer Bildung und gelebter Partizipation und fördert die Entwicklung junger mündiger Bürger*innen. Im Hinblick auf die Schulgesetz-Erweiterung ist ein Ausbau einer breit angelegten Klassenratsoffensive in Kooperation mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie nicht nur empfehlenswert, sondern dringend erforderlich: Begleitende universitäre Forschung zur Wirkungsweise des Lernarrangement Klassenrat, zur nachweisbaren Kompetenzerweiterung der Beteiligten sind ebenso unabdingbar wie die Unterstützung der erweiterten Schulleitungen durch die Digitalakademie der DeGeDe sowie weitere Fortbildungsangebote für Trainer*innen und Peers und Formate für Förderschulen.
Leuchtturmprojekte an einigen Berliner Schulen zeigen eindrucksvolle Erfolge.
Der Zusammenhalt in unserer demokratisch verfassten Gesellschaft basiert auf dem Konsens gemeinsam gelebter Werte und der Beteiligung aller Bürger*innen.
Ein wertvoller Schritt in diese Richtung wird sichtbar, wenn der Klassenrat in allen Klassen einer Schule durchgeführt und die Qualitätsstandards weiterentwickelt werden.

Wir rufen alle Engagierten auf:

Lasst uns weitermachen! Es lohnt sich.

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Das Pädagog*innenheft steht im DeGeDe-Shop sowie die Klassenratslernmaterialien und das Poster  stehen käuflich zur Verfügung ebenso im Shop. Die umfangreichen Informationen über den Klassenrat bieten die eigene Webseite der Klassenratsinformationen.