Am 4. Oktober 2023 veranstaltete die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. (DeGeDe) im Rahmen des Kompetenznetzwerks Demokratiebildung im Jugendalter (KNW) in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin den Fachtag „Demokratiebildung in der Migrationsgesellschaft“. Der Fachtag widmete sich „demokratiepädagogischen Ansätzen angesichts migrationsgesellschaftlicher Diskriminierungsverhältnisse“. Die Begrüßung und Eröffnung des Fachtags wurden von Mekonnen Mesghena (Referat Migration & Diversity der Heinrich-Böll-Stiftung) und Dr. Lena Kahle (Projektleitung im „Kompetenznetzwerk Demokratiebildung im Jugendalter“) durchgeführt. In ihren Begrüßungsworten betonten beide die Notwendigkeit und Relevanz der Demokratiebildung in einer Migrationsgesellschaft.
Vorträge und dialogisches Gespräch
Nach der organisatorischen Einführung von Uğur Elhan (Projektkoordination „Theorie-Praxis Transfer“ im Kompetenznetzwerk der DeGeDe) begann der Fachtag mit dem Impulsvortrag „Menschen- und Demokratiefeindlichkeit in der Migrationsgesellschaft: Warum wir eine starke Demokratiebildung brauchen!“ von Professorin Dr. Sabine Achour (Arbeitsschwerpunkt Politikdidaktik und Politische Bildung am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der FU Berlin). In ihrem Vortrag präsentierte sie Teile der Ergebnisse der aktuellen „Mitte-Studie“ 2022/23, die rechtsextremen und demokratiegefährdenden Einstellungen beleuchtet. Prof.in Dr. Sabine Achour betonte, dass sowohl eine Zunahme rechtsextremer Einstellungen als auch eine gefühlte „politische Machtlosigkeit“ in Teilen der Bevölkerung erkennbar seien. Diese Entwicklungen stellen die Demokratiebildung vor Herausforderungen, zeigen aber auch ihre Notwendigkeit. Frau Achour stellte zum Ende ihres Vortrags mögliche Rückschlüsse und Ansätze für die Demokratiebildung in der Migrationsgesellschaft vor. Sie sieht in den Ergebnissen die Notwendigkeit für mehr Betroffenenschutz und Antidiskriminierungsstellen sowie die Sensibilisierung pädagogischen Personals für Diskriminierungsthemen, um überhaupt zu erkennen, wer von Diskriminierung betroffen ist. Sie betonte auch, wie wichtig es sei, diversitätsorientierte Begegnungsräume zu schaffen und insbesondere bei Schüler*innen die Selbstwirksamkeit sowie die Ambiguitätstoleranz zu fördern, also die Fähigkeit, mit Unsicherheit und Vieldeutigkeit umgehen zu können.
Prof.in Dr. Aysun Doğmuş (Fachgebiet Lehren und Lernen in der Migrationsgesellschaft am Institut für Erziehungswissenschaft an der TU Berlin) folgte mit ihrem Impulsvortrag „Bildungskontexte der Migrationsgesellschaft: Warum wir eine kritische Reflexion brauchen!“ und setzte inhaltlich einen Schwerpunkt auf die Spezifika des Rassismus in rassismusrelevanten Verhältnissen. Sie erklärte, wie eng verwoben gesellschaftliche Machtverhältnisse sind und besonders in Migrationsgesellschaften eine Herstellung von „Privilegierung und Deprivilegierung“ stattfindet, bei den bestimmten Gruppen als zur Gesellschaft „passend“ und andere als „nicht passend“ konstruiert werden. Zum Abschluss stellte Frau Doğmuş nochmals fest, wie wichtig und notwendig eine kritische Reflexion von Rassismus ist, um konsequenten Rassismus in der Gesellschaft abbauen zu können.
Anschließend an die beiden Vorträge moderierte Reina-María Nerlich (Programmleitung im Bereich Demokratiebildung bei duvia e. V.) ein „Dialogisches Gespräch“ mit Prof.in Dr. Sabine Achour und Prof.in Dr. Aysun Doğmuş, bei dem auch die Besucher*innen des Fachtags ihre Fragen einbringen konnten. Die beiden Professorinnen betonten im Gespräch, was Demokratiebildung im Kontext der Zunahme von Diskriminierung und Rassismus in der Migrationsgesellschaft leisten muss. Beide unterstrichen, wie wichtig es ist, dass es einen offenen Austausch in der Gesellschaft zum Thema Rassismus geben muss. Wir müssen aktiv Fragen stellen, wie bestehende Hierarchien in unserer Gesellschaft dekonstruiert werden können, erläuterte Frau Doğmuş, und dass wir historische Kontinuitäten und ihre Nachwirkungen, wie zum Beispiel des Kolonialismus, herausstellen und aufarbeiten müssen. Als Gesellschaft müssen wir hinterfragen, wie wir Zugehörigkeit definieren und kritisch reflektieren, wen wir als „deutsch“ identifizieren und wen nicht, erklärte sie weiter. Ebenfalls ist es wichtig, sichere Räume für Betroffene zu schaffen, und insbesondere sollten Räume geschaffen werden, in denen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit gegeben wird, selbst für sich zu sprechen und eigene Positionen und Fragen zu den Themen zu entwickeln und zu diskutieren, betonte Frau Achour.
Die Workshopphase
Anschließend an das dialogische Gespräch folgten zwei Workshopblöcke. Im ersten Block gab es vier Workshops zum Thema „Außerschulische Bildung in der Migrationsgesellschaft“ zur Auswahl.
Zugehörigkeiten in einer diverser werdenden Welt – eine explorative Entdeckungsreise
Demokratische Räume in der Migrationsgesellschaft – Zwischen Ausschluss, Limitationen und konstruierter Inklusion
Politische Bildung im Kiez – Zwischen Lebensweltbezug und Rassismusreproduktion
Das historische Diversity-Planspiel: Eine wirkungsvolle Methode für Demokratiebildung in der Migrationsgesellschaft
Partizipative Schulentwicklung – Basis von Jugendbeteiligung und Stärkung der Chancengleichheit in der Migrationsgesellschaft
Mit Haltung und Kreativität: Demokratiebildung in der Schule als ein Baustein der Lehrer*innenausbildung
Leben in Vielfalt erforschen! - Eine Online-Fortbildung von und für Lehrer:innen
Entwicklung und Implementierung eines Präventions- und Handlungskonzepts zur Bearbeitung von Diskriminierung in der Schule
Zum Ende der Veranstaltung wurde nochmal gemeinsam ein eine kurze Bilanz gezogen und der Abend wurde mit einem Get-together und dem Markt der Möglichkeiten beenden. Insgesamt äußerten sich viele Teilnehmende sehr positiv. Teilnehmende bewerteten die Vorträge als „sehr anregend“ und als „wichtige Impulse“ und vor allem einen „gelungen Einstieg und Vorbereitung“ zu den nachfolgenden Workshops. Auch freuten sich mehrere anwesende Lehrkräfte, dass es Workshops wie „Leben in Vielfalt erforschen!“ gab, welche für sie eine wichtige Inspiration waren und sie es als realistisch sahen, ein ähnliches Projekt an der eigenen Schule umzusetzen. Auch auf dem „Markt der Möglichkeiten“ nutzten die Teilnehmenden, neben der Möglichkeit zahlreiche Projekte und Organisationen aus den Themenfeldern Demokratiebildung, Vielfaltgestaltung und Migration kennenzulernen, ebenfalls dazu sich gegenseitig kennenzulernen und zu vernetzen.