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Magdeburger Manifest

Im Rahmen der Halbzeitkonferenz des BLK-Programms „Demokratie lernen und leben“ wurde das „Magdeburger Manifest“ zur Demokratiepädagogik verabschiedet. Das Manifest entfaltet in 10 Punkten, warum demokratiepädagogische Aktivitäten in Deutschland engagiert vorangebracht werden müssen. Das Gründungsmanifest der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik wurde von den Gründungsmitgliedern der Gesellschaft unterzeichnet. 

Magdeburg, den 26. Februar 2005 

  1. Demokratie ist eine historische Errungenschaft. Sie ist kein Naturgesetz oder Zufall, sondern Ergebnis menschlichen Handelns und menschlicher Erziehung. Sie ist deshalb eine zentrale Aufgabe für Schule und Jugendbildung. Demokratie kann und muss gelernt werden: individuell und gesellschaftlich. Die Demokratie hat eine Schlüsselbedeutung für die Verwirklichung der Menschenrechte. Die Entwicklung und die ständige Erneuerung demokratischer Verhältnisse bildet deshalb eine bleibende Aufgabe und Herausforderung für Staat, Gesellschaft und Erziehung.
  2. Die Erfahrung der Geschichte ebenso wie gegenwärtige Entwicklungen und Gefährdungen, insbesondere Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Antisemitismus, zeigen, dass die Demokratisierung von Staat und Verfassung nicht genügt, die Demokratie zu erhalten und mit Leben zu erfüllen. Dazu bedarf es vielmehr einer Verankerung der Demokratie nicht nur als Verfassungsanspruch und Regierungsform, sondern als Gesellschaftsform und als Lebensform.
  3. Demokratie als Gesellschaftsform bedeutet, sie als praktisch wirksamen Maßstab für die Entwicklung und Gestaltung von zivilgesellschaftlichen Gemeinschaften, Verbänden und Institutionen zu achten, zur Geltung zu bringen und auch öffentlich zu vertreten. 
  4. Demokratie als Lebensform bedeutet, ihre Prinzipien als Grundlage und Ziel für den menschlichen Umgang und das menschliche Handeln in die Praxis des gelebten Alltags hineinzutragen und in dieser Praxis immer wieder zu erneuern. Grundlage demokratischen Verhaltens sind die auf gegenseitiger Anerkennung beruhende Achtung und Solidarität zwischen Menschen unabhängig von Herkunft, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Alter oder gesellschaftlichem Status.
  5. Politisch und pädagogisch beruht der demokratische Weg auf dem entschiedenen und gemeinsam geteilten Willen, alle Betroffenen einzubeziehen (Inklusion und Partizipation), eine abwägende, gerechtigkeitsorientierte Entscheidungspraxis zu ermöglichen (Deliberation), Mittel zweckdienlich und sparsam einzusetzen (Effizienz), Öffentlichkeit herzustellen (Transparenz) und eine kritische Prüfung und Revision von Handeln und Institutionen mit Maßstäben von Recht und Moral zu sichern (Legitimität).
  6. Demokratie lernen und Demokratie leben gehören zusammen: In demokratischen Verhältnissen aufzuwachsen und respektvollen Umgang als selbstverständlich zu erfahren, bildet die vielleicht wichtigste Grundlage für die Herausbildung belastbarer demokratischer Einstellungen und Verhaltensgewohnheiten. Die Entwicklung demokratischer Handlungskompetenz erfordert darüber hinaus Wissen über Prinzipien und Regeln, über Fakten und Modelle sowie über Institutionen und historische Zusammen- hänge.
  7. Demokratie lernen ist eine lebenslange Herausforderung; jede neue gesellschaftliche und politische Situation kann auch neue Fähigkeiten und demokratische Lösungswege verlangen. Ganz besonders stellt Demokratie lernen aber ein grundlegendes Ziel für Schule und Jugendbildung dar. Das ergibt sich zuerst aus deren Aufgabe, Lernen und Entwicklung aller Heranwachsenden zu fördern. In welchem Verhältnis Einbezug und Ausgrenzung, Förderung und Auslese, Anerkennung und Demütigung, Transparenz und Verantwortung in der Schule zueinander stehen, ist mitentscheidend dafür, welche Einstellung Jugendliche zur Demokratie entwickeln und wie sinnvoll, selbstverständlich und nützlich ihnen eigenes Engagement erscheint. 
  8. Demokratie wird erfahren durch Zugehörigkeit, Mitwirkung, Anerkennung und Verantwortung. Diese Erfahrung bildet eine wichtige Grundlage dafür, dass Alternativen zur Gewalt wahrgenommen und gewählt werden können und dass Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit (Selbstwirksamkeit) mit der Bereitschaft, sich für Aufgaben des Gemeinwesens einzusetzen, sich zusammen ausbilden können. Ebenso hängt von dieser Erfahrung die Fähigkeit ab, Zugehörigkeit zu anderen und Abgrenzung von anderen als demokratische Grundsituation verstehen zu können und sie nicht mit blinder Gefolgschaft, mit der Abwertung anderer und mit Fremdenfeindlichkeit zu beantworten. Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen sind weithin auch eine Folge fehlender Erfahrung von Zugehörigkeit, mangelnder Anerkennung und ungenügender Aufklärung.
  9. Der Anspruch, Demokratie lernen und Demokratie leben in der Schule miteinander zu verbinden, hat Konsequenzen für Ziele, Inhalte, Methoden und Umgangsformen in jedem Unterricht und für die Leistungsbewertung. Er impliziert die Bedeutung von Projektlernen als einer grundlegend demokratisch angelegten pädagogischen Großform, er schließt die Forderung ein, Mitwirkung und Teilhabe in den verschiedensten Formen und auf den verschiedensten Ebenen des Schullebens und der schulischen Gremien zu erproben und zu erweitern und verlangt die Anerkennung und Wertschätzung von Aktivitäten und Leistungen, mit denen sich die Schüler- und Lehrerschaft über die Schule hinaus an Aufgaben und Problemen des Gemeinwesens beteiligen.
  10. Erziehung zur Demokratie und politische Bildung stellen für die Schule, besonders für Lehrer*innen, eine Aufgabe von zunehmender gesellschaftlicher Wichtigkeit und Dringlichkeit dar. Alle staatlichen und zivilgesellschaftlichen Kräfte sind gefordert, pädagogische Anstrengungen auf diesem Feld zu unterstützen, mit ausreichenden Mitteln zu versehen und ihre öffentliche Wahrnehmung zu stärken.