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Just Community

„Wir wollen, dass alle Kinder Mut zu und Freude an sozialer und ökologischer Verantwortung entwickeln. Verantwortung lernen und Engagement im Gemeinwesen sind zentrale Elemente unserer Lernkultur.“ (Evang. Schule Mitte, Berlin)

Der Begriff „Just Community“ geht auf den amerikanischen Psychologen und Pädagogen Lawrence Kohlberg zurück. Kohlberg hatte zunächst die Entwicklung des moralischen Urteilsvermögens von Kindern und Jugendlichen erforscht, bald aber auch begonnen, seine Erkenntnisse im pädagogischen Bereich umzusetzen. Erfolgreich wurden Unterrichtsprogramme erprobt, in denen kontroverse Diskussionen über Wertkonflikte (Dilemmadiskussionen) Anstöße für die Weiterentwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit gaben (Schuster 2001). 

Der entscheidende Schritt über die Grenzen der Schulklasse und des bloßen Gesprächs hinaus wurde mit der Idee der „Just Community“ getan. Durch die Einbeziehung der realen Konflikte an der Schule sollte nicht mehr nur das moralische Urteilsvermögen, sondern vor allem auch die Bereitschaft zum moralischen Handeln gefördert werden (Kohlberg 1986). Kohlberg vertrat die Auffassung, dass der Erziehungsauftrag der Schule die Vorbereitung auf eine verantwortliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasst, die wiederum sowohl Empathie und soziales Verstehen verlangt als auch die Fähigkeit, sich an realen Gerechtigkeitsdiskursen zu beteiligen. Diese Fähigkeiten lassen sich, so Kohlberg, nur über praktische Erfahrung entwickeln. 

Der Entwicklung von Schulen zu sogenannten „gerechten und fürsorglichen Schulgemeinschaften“ liegt eine stark erfahrungs- und entwicklungsbezogene pädagogische Konzeption zugrunde: Soziales Verstehen, Verantwortungsbereitschaft, demokratische Einstellungen – so die Grundannahme – entwickeln sich besser, wenn sie in der alltäglichen Lebenspraxis erwartet und herausgefordert werden. 

Die regelmäßige Gemeinschaftsversammlung („Schulversammlung“, „Vollversammlung“) ist der organisatorische Kern. Sie ist das Zentrum des Meinungsaustauschs, der gemeinsamen Planung und Beschlussfassung aller Schulangehörigen. Die Versammlung wird 

geplant und geleitet von einer Vorbereitungsgruppe (einige Lehrkräfte, mehrheitlich Kinder bzw. Jugendliche). Der Ablauf der Versammlung besteht in der Regel aus einer Mischung aus Plenums- und Kleingruppenarbeit. Der Klassenrat ist das geeignete Gremium, Themen der Gemeinschaftsversammlung vor- und nachzubesprechen und ein Forum, in dem praktische Kompetenzen geübt werden, die in der großen Versammlung gebraucht werden. 

Ähnliches gilt für moralische Dilemmadiskussionen – Diskussionen über moralische Wertkonflikte: Sie schärfen den Sinn für Gerechtigkeitsfragen und unterstützen die Entwicklung von Denk- und Argumentationsfähigkeiten. 

Die wissenschaftliche Begleitung dieser Schulprojekte zeigt, dass die erhofften Erfolge tatsächlich eintreten. Allerdings geschieht dies nicht automatisch, sondern erst dann, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden: Die Kinder und Jugendlichen müssen ihre Mitbeteiligung als relevant erleben; die demokratische Praxis darf nicht zum bloßen Palaver über unwichtige Themen werden. Die Aktivitäten müssen erfahrungsnah sein, und es muss Raum dafür geschaffen werden, über gemachte Erfahrungen gemeinsam nachzudenken. 

Erfahrung ohne Reflexion kann blind machen für die Lehren, die daraus gezogen werden können. Hinzu kommt, dass die Lehrkräfte sich über die Ziele und das Vorgehen einig sein müssen und dass sie bereit sein müssen, wie bei jeder Innovation speziell in der Anfangsphase relativ viel Arbeit zu investieren. 

Die Erfolgschancen sind umso größer, je mehr eine „Just Community“ nicht als isoliertes Programm des sozialen Lernens verstanden wird, sondern als breit angelegtes Schulentwicklungsprojekt (Althof & Stadelmann 2010).

Medien: Literatur, Downloads, Links, Videos
  • Althof, Wolfgang; Stadelmann, Toni (2010): Demokratische Schulgemeinschaft. In: Edelstein, Wolfgang; Frank, Susanne; Sliwka, Anne (Hg.): Praxisbuch Demokratiepädagogik, S. 20-53. 
  • von Hentig, Hartmut (2004): Die Schule neu denken. Eine Übung in pädagogischer Vernunft. 
  • Kohlberg, Lawrence (2001): Moralstufen und Moralerwerb. Der kognitiv-entwicklungstheoretische Ansatz. In: Edelstein, Wolfgang, Oser, Fritz; Schuster, Peter (Hg.): Moralische Erziehung in der Schule. Entwicklungspsychologie und pädagogische Praxis, S. 35-61. 
  • Kohlberg, Lawrence (1970): Education for justice: a modern restatement of the Platonic view. In: Sizer, Nancy F.; Sizer, Theodore R. (Hg.): Moral education. Five lectures, S. 56-83. 
  • Kohlberg, Lawrence (1986): Der „Just-Community“-Ansatz der Moralerziehung in Theorie und Praxis. In: Oser, Fritz; Fatke, Reinhard; Höffe, Otfried (Hg.): Transformation und Entwicklung. Grundlagen der Moralerziehung, S. 21-55. 
  • Kohlberg, Lawrence (1995): Die Psychologie der Moralentwicklung.  
  • Oser, Fritz; Althof, Wolfgang (1997): Moralische Selbstbestimmung. Modelle der Entwicklung und Erziehung im Wertebereich.  
  • Oser, Fritz (2001): Acht Strategien der Wert- und Moralerziehung. In: Edelstein, Wolfgang; Oser, Fritz; Schuster, Peter (Hg.): Moralische Erziehung in der Schule. Entwicklungspsychologie und pädagogische Praxis, S. 63-89. 
  • Oser, Fritz; Althof, Wolfgang (2001): Die Gerechte Schulgemeinschaft. Lernen durch Gestaltung des Schullebens. In: Edelstein, Wolfgang; Oser, Fritz; Schuster, Peter (Hg.): Moralische Erziehung in der Schule. Entwicklungspsychologie und pädagogische Praxis, S. 233-268. 
  • Schuster, Peter (2001): Von der Theorie zur Praxis. Wege zur unterrichtspraktischen Umsetzung des Ansatzes von Kohlberg. In: Edelstein, Wolfgang; Oser, Fritz; Schuster, Peter (Hg.): Moralische Erziehung in der Schule. Entwicklungspsychologie und pädagogische Praxis, S.177-212. 

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