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Haltung

"Demokratisches Handeln ist geprägt durch die Haltung, „sich zuständig zu fühlen für die eigenen Belange und die der Gemeinschaft, und die Kompetenz, sich konstruktiv streiten zu können, also eigene Interessen vertreten, sich in andere hineinversetzen und es aushalten zu können, wenn man sich nicht durchsetzen kann“" (Hansen 2005, S. 4).

Haltung ist eine grundlegende Gelingensbedingung für pädagogisches Handeln in schulischen und außerschulischen Bildungssettings. Dabei gibt es im pädagogischen Kontext keine allgemein anerkannte Definition dessen, was unter „Haltung“ verstanden wird. Einigkeit besteht lediglich darin, dass der Begriff nicht die Position zu einzelnen Fragen, sondern Grundhaltungen und wertorientierte Einstellungen bezeichnet. Gerade im Hinblick auf Demokratiepädagogik sind eine demokratische Grundhaltung und eine konsequente Orientierung an den Menschenrechten unerlässlich. Denn die Grundwerte der Demokratie, z.B. Freiheit, Gleichheit, Akzeptanz von Pluralismus, Gewaltverzicht oder Solidarität, finden ihren Ausdruck in der Menschenwürde bzw. sie lassen sich auf die Menschenwürde zurückführen. Deshalb steht der Schutz der Menschenwürde im Grundgesetz auch an erster Stelle (Art. 1 GG). Demokratisches Handeln ist geprägt durch die Haltung, „sich zuständig zu fühlen für die eigenen Belange und die der Gemeinschaft, und die Kompetenz, sich konstruktiv streiten zu können, also eigene Interessen vertreten, sich in andere hineinversetzen und es aushalten zu können, wenn man sich nicht durchsetzen kann“ (Hansen 2005, S. 4). 

Der Europarat hat in seinem Referenzrahmen „Kompetenzen für eine demokratische Kultur“ modellhaft sechs Elemente einer demokratischen Haltung identifiziert: „Offenheit für kulturelle Andersartigkeit und für andere Glaubensrichtungen, Weltanschauungen und Bräuche; Respekt; Gemeinwohlorientierung; Verantwortung; Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit; Toleranz für Mehrdeutigkeit“ (Europarat 2018, S. 11). Dazu formuliert der Europarat als unerlässliche Werthaltungen für eine demokratische Kultur die „Wertschätzung der Menschenwürde und Menschenrechte; Wertschätzung der kulturellen Vielfalt; Wertschätzung der Demokratie, Gerechtigkeit, Fairness, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit“ (ebd.). 

Die Haltung beeinflusst nicht nur das eigene Wahrnehmen, Urteilen und Handeln, sondern in demokratiepädagogischen Lernsituationen auch den Umgang mit den Lernenden. Pädagog*innen, die demokratische Werte vertreten, drücken dies auch in ihrer Haltung gegenüber den Lernenden aus: Sie erkennen die Lernenden als Subjekte mit eigenen Rechten und individuellen Bedürfnissen an und betrachten und unterstützen sie als kompetente Akteur*innen. 

Für die Ausbildung einer entsprechenden demokratiepädagogischen Haltung zählt vor allem die Differenzierung zwischen einer persönlichen, emotional gefärbten, spontanen Erstreaktion und einer professionellen, d.h. willentlich steuerbaren Zweitreaktion. „Die Zweitreaktion bietet dabei einen professionellen Abstand zum ersten Impuls und eröffnet erweiterte, kontextsensible Handlungsspielräume. Diese Zweitreaktion gilt es für eine professionelle pädagogische Haltung insbesondere zu schulen“ (Solzbacher 2016, S. 7). 

Es ist hervorzuheben, dass eine einmal entwickelte Haltung nicht automatisch von Dauer ist. Haltung muss immer wieder neu „errungen“ werden – dies geschieht durch eine ständige Reflexion des eigenen Handelns. Gerade in Stress- oder Konfliktsituationen kann es vorkommen, dass das konkrete Handeln zu einer Haltung, die sich in einer konsequenten Zuwendung zum Kind manifestiert, in Widerspruch gerät. Insofern bleibt die Arbeit an der eigenen Haltung durch Reflexion eine Daueraufgabe für Pädagog*innen, für die es aber auch Raum und Zeit braucht (vgl. Rademacher 2015, S. 80). 

Zur Reflexion der eigenen demokratischen Haltung können in Anlehnung an Rüdiger Hansen folgende Fragen hilfreich sein (vgl. Hansen 2005, S. 8):  

  • Wie nehme ich die Lernenden und andere an der Lernsituation Beteiligte wahr? Bleibe ich bei in meiner Wahrnehmung bewertungsfrei? 
  • Wie sehe ich meine Rolle im Lernprozess? Als Leiter*in, Moderator*in, Begleiter*in oder noch anders? 
  • Begegne ich den Lernenden auf Augenhöhe? Nehme ich die Beiträge der Lernenden und anderer Beteiligter ernst? Bin ich neugierig auf die Beiträge der Lernenden? Nehme ich eher eine fragende als eine wissende Haltung ein? 
  • Hat jede*r die Möglichkeit, sich mit seinen Bedürfnissen im Lernprozess und bei der Erreichung des Lernprodukts einzubringen? 
  • Praktiziere ich aktives Zuhören? 
  • Gelingt mir die Differenzierung zwischen spontaner Erst- und professioneller Zweitreaktion? 
Medien: Literatur, Downloads, Links, Videos 
  • Europarat (2018): Kompetenzen für eine demokratische Kultur. Gleichberechtigtes Zusammenleben in kulturell unterschiedlichen demokratischen Gesellschaften. Straßburg: Europarat. Online unter: https://rm.coe.int/prems-000818-deu-2508-competences-for-democratic-culture-8556-couv-tex/168078e34e [21.2.2023]. 
  • Hansen, Rüdiger (2005): Die Kinderstube der Demokratie – Partizipation in Kindertagesstätten. Hg. v. Aktion Schleswig-Holstein – Land für Kinder – beim Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren. Kiel. Online unter: https://www.partizipation-und-bildung.de/pdf/Video-Booklet_2005.pdf [21.2.2023]. 
  • Rademacher, Helmut (2016): Zur Bedeutung der Haltung in der Friedens- und Demokratiepädagogik. In: ders./Wintersteiner, Werner (Hg.): Jahrbuch Demokratiepädagogik 4: Friedenspädagogik und Demokratiepädagogik. Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag, S. 80–88. 
  • Solzbacher, Claudia (2016): Was ist eigentlich eine professionelle pädagogische Haltung? Ist sie lehrbar und erlernbar? In: Service National de la Jeunesse (Hg.): Die pädagogische Haltung. Sammlung der Beiträge der vierten nationalen Konferenz zur non-formalen Bildung im Kinder- und Jugendbereich, S. 6–8. Online unter: https://www.enfancejeunesse.lu/wp-content/uploads/2018/06/Pädagogische-Haltung.pdf [21.2.2023].