Gespräche zu Demokratie, Bildung und Teilhabe in der Migrationsgesellschaft mit

Anne Gabrikowski

Soziale Wertschätzung in Schulen
Anne Gabrikowski studierte gymnasiales Lehramt in Marburg, sowie berufsbegleitend Sonderpädagogik für Lernen und Emotional-soziale Entwicklung. Derzeit ist sie als Lehrerin in Berlin-Neukölln tätig. Nach ihrem Studium der demokratiepädagogischen Schulentwicklung arbeitet sie auf institutioneller Ebene daran, gelebte Vielfalt und Basisdemokratie im Schulalltag zu verankern. Ihr Schwerpunkt liegt in der Konzeption und Umsetzung partizipativer Schulstrukturen. 
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Bitte stellen Sie uns doch gern zuerst Ihre Arbeit im Hinblick auf das Thema "Bildung und Migrationsgesellschaft" dar.

Hinsichtlich des thematischen Rahmens konzentriert sich meine Arbeit auf die Rolle der Schule innerhalb der Gesellschaft, welche von Migration und kultureller Diversität geprägt ist. In einer solchen Gesellschaft steht Bildung nicht nur für eine Wissensvermittlung, sondern ist vielmehr ein Ort, an dem gesellschaftliche Herausforderungen wie Diskriminierung oder Inklusion demokratisch bearbeitet werden müssen. 

Im Kern meiner Arbeit steht die Frage, wie Schulen als Institutionen in einer Migrationsgesellschaft dazu beitragen können, die soziale Teilhabe aller Schüler:innen zu fördern – unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht oder sozialem Status. Es geht darum, wie Schulen eine demokratische Kultur entwickeln können, die die Vielfalt der Lernenden durch soziale Wertschätzung anerkennt und fördert. 

Ein zentraler Punkt sei hierbei die Auseinandersetzung mit Mechanismen des Othering. In einer Migrationsgesellschaft und anderen sozialen Gefügen entstehen oft Hierarchien und Differenzierungen entlang der Linie von Herkunft, Religion und Kultur. Diese Differenzierungen können Schüler:innen in Kategorien von „Wir“ und „die Anderen“ einteilen, was zu Diskriminierung und Marginalisierung führen kann. Mein Fokus liegt darauf, wie diese Mechanismen in der Schule wirken und wie sie durch eine demokratische Schulbildung aufgebrochen werden können.  Partizipation und soziale Wertschätzung spielen eine entscheidende Rolle dabei, wie Lernende sich als gleichwertige Mitglieder der Schulgemeinschaft erleben und somit auch als aktive Mitglieder der Gesellschaft. 

Ein weiteres zentrales Thema ist die Förderung einer entsprechenden Schulkultur der sozialen Wertschätzung, die allen Lernenden gleichermaßen Anerkennung für ihre Individualität und Vielfalt bietet. Hierbei werden Schüler:innen in ihrem Autonomieprozess unterstützt, was nicht nur zur persönlichen Entwicklung beiträgt, sondern auch das Fundament für eine lebendige Demokratie legt. Bildungsprozesse, die auf Anerkennung und Wertschätzung basieren, schaffen ein Klima, das Diskriminierung und Rassismus aktiv entgegenwirkt und stattdessen eine solidarische Gemeinschaft fördert. 

Zusammengefasst geht es in meiner Arbeit darum, wie Bildung in der Migrationsgesellschaft zu einem Ort positiv gelebter Differenz und der sozialen Gerechtigkeit werden kann. Schulen sind mehr denn je ein entscheidender Faktor in der Gesellschaft, um demokratische Werte wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität zu vermitteln, um diese aktiv zu leben.

Sie beschäftigen sich mit dem Thema „Schule und soziale Wertschätzung“. Könnten Sie genauer erläutern, was für Bedeutung dieses Thema für die Schule hat?

Schule nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern auch Raum für soziale Interaktion und Persönlichkeitsentwicklung. Soziale Wertschätzung in der Schule bedeutet, dass alle Lernenden unabhängig ihrer Herkunft, Sprache, Religion oder sozialen Stellung als gleichwertige und bedeutsame Mitglieder der Schulgemeinschaft anerkannt werden. Dies schafft ein Klima, in dem sich Schüler:innen sicher fühlen und ihre individuellen Fähigkeiten entfalten können. Die Wertschätzung individueller Unterschiede trägt dazu bei, Diskriminierung und Ausgrenzung vorzubeugen, indem ein Raum geschaffen wird, in dem Vielfalt als Bereicherung wahrgenommen wird. 

Eine solche Haltung geht weit über interpersonale Anerkennung hinaus. Sie erfordert institutionelle Maßnahmen, die eine diskriminierungsfreie Schulkultur fördern. Dazu zählen etwa die Gestaltung ein diversitätssensibler Unterricht, Kommunikationsräume und die Schulung des pädagogischen Personals in interkultureller Kompetenz. Soziale Wertschätzung ermöglicht es, dass alle Schüler:innen gleichermaßen von Bildung profitieren können, indem sie ihre eigenen Stärken einbringen und gefördert werden. 

Zudem hat Soziale Wertschätzung eine tiefgreifende Wirkung auf das Klassenklima. Wenn Schüler:innen erfahren, dass ihre Perspektiven und Erfahrungen ernst genommen werden, steigt ihre Motivation und ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Lehrkräfte spielen hierbei eine Schlüsselrolle, indem sie aktiv Diskriminierung entgegenwirken und eine inklusive Atmosphäre schaffen, die auf Respekt und Gleichberechtigung basiert. Dies stärkt nicht nur die individuelle Entwicklung der Lernenden, sondern auch ihre Fähigkeit, in einer vielfältigen Gesellschaft selbstbewusst und solidarisch zu agieren. 

Eine Schule, die soziale Wertschätzung praktiziert, legt somit den Grundstein für ein demokratisches Miteinander und eine gerechte Gesellschaft. Sie fördert die Anerkennung jeder* Einzelnen und zeigt, dass Chancengleichheit und Partizipation nicht nur Ziele, sondern gelebte Realität sein können. 

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Wie kann eine Schulkultur, die auf sozialer Wertschätzung basiert, die gleichberechtigte Teilhabe und individuelle Entwicklung aller Schüler*innen fördern?

Eine entsprechende Schulkultur fördert die gleichberechtigte Teilhabe und individuelle Entwicklung aller Schüler:innen auf vielfältige Weise. Zunächst schafft eine solche Kultur ein wertschätzendes und gleichberechtigtes Schulklima, in dem sich alle Lernenden unabhängig von ihrer Herkunft oder sozialen Stellung als gleichwertige Mitglieder der Gemeinschaft fühlen. Durch die Anerkennung und Wertschätzung individueller Unterschiede, sei es in Bezug auf Identität, Sprache oder sozioökonomischen Hintergrund, wird eine Atmosphäre des Respekts und der Offenheit erzeugt, in der Schüler:innen ihre individuelle Persönlichkeit entwickeln und einbringen können. 

Ein zentrales Element sozialer Wertschätzung in der Schule ist die Förderung der aktiven Beteiligung aller Schüler:innen. In einer respektvollen Umgebung sind wohl alle Lernenden eher bereit, ihre Meinungen zu äußern und sich an Entscheidungen zu beteiligen – sei es in der Klasse oder im schulischen Alltag. Durch die gezielte Förderung von Mitbestimmung und Kooperation können Schüler:innen ihre sozialen Kompetenzen stärken und lernen, Verantwortung zu übernehmen. Dieser partizipative Ansatz fördert nicht nur die Demokratiebildung, sondern auch die Fähigkeit der Schüler:innen, konstruktiv mit anderen zu interagieren und Konflikte respektvoll zu lösen. 

Zudem unterstützt eine wertschätzende Schulkultur die individuelle Entwicklung aller. Wenn jede:r Schüler:in die Erfahrung macht, dass ihre Einzigartigkeit geschätzt wird, stärkt das ihr Selbstvertrauen und ihre Autonomie. Eine solche Kultur mit entsprechenden Rahmenbedingungen ermöglicht es, im eigenen Tempo und gemäß individueller Stärken und Bedürfnissen, ohne Angst vor Stigmatisierung oder Ausgrenzung, zu lernen. So wird nicht nur die Persönlichkeitsentwicklung gefördert, sondern auch die Chancengleichheit für alle. 

Insgesamt trägt eine Schulkultur der sozialen Wertschätzung dazu bei, dass Schüler:innen sowohl als Individuen wachsen als auch als Mitglieder einer demokratischen Gemeinschaft aktiv partizipieren können. 

Welche Auswirkungen kann das Thema soziale Wertschätzung auf die Mitglieder einer Migrationsgesellschaft haben?

Das Thema soziale Wertschätzung hat weitreichende Auswirkungen auf die Mitglieder einer Migrationsgesellschaft, da es essenziell für soziale Integration, Gleichberechtigung und die Förderung eines demokratischen Zusammenlebens ist. Wenn Menschen aufgrund Sozialer Wertschätzung in ihrer Individualität anerkannt und respektiert werden, spielt dies im Besonderen für Menschen mit Migrationsgeschichte eine zentrale Rolle, da sie oft von Mechanismen des Othering betroffen sind, die sie marginalisieren und ihre Teilhabe an der Gesellschaft einschränken können. Durch soziale Wertschätzung wird diesen Mechanismen aktiv entgegengewirkt. Dies stärkt das Vertrauen in die Gesellschaft und ermöglicht es ihnen, aktiv an demokratischen Prozessen teilzunehmen. 

Für eine Migrationsgesellschaft insgesamt hat soziale Wertschätzung eine stabilisierende Wirkung. Sie fördert ein solidarisches Miteinander, da sie Differenzen nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung begreift. Dies wirkt nicht nur Diskriminierung entgegen, sondern schafft auch die Basis für ein gleichberechtigtes Zusammenleben, in dem jede Person die gleichen Chancen hat, sich zu entfalten. Eine solche Haltung trägt dazu bei, soziale Spannungen zu verringern und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. 

Letztlich ermöglicht soziale Wertschätzung die Entwicklung einer pluralistischen Gesellschaft, die sich durch Gleichberechtigung, Respekt und gegenseitige Unterstützung auszeichnet. Dies ist nicht nur für die individuelle Entwicklung von Mitgliedern der Migrationsgesellschaft von Bedeutung, sondern auch für die demokratische und soziale Stabilität der gesamten Gesellschaft. Und gerade dies wird aktuell besonders gebraucht. 

Anne Gabrikowski