Gespräche zu Demokratie, Bildung und Teilhabe in der Migrationsgesellschaft mit

Sabine Mühlich & Sebastian Felsner

Sabine Mühlich begleitete als pädagogische Mitarbeiterin das Modellprojekt Demokratische Schule des Kreisjugendring Dachau konzeptionell und in der direkten Zusammenarbeit an den einzelnen Schulen. Frau Mühlich arbeitet als Religionspädagogin schon viele Jahre vor allem an Mittelschulen und Grundschulen. Gegenwärtig berät sie unterschiedliche kirchliche Berufsgruppen in den ersten Dienstjahren im Religionsunterricht an verschieden Schularten. Frau Mühlich unterstützt als Moderatorin Schulen in der werte- und wahrnehmungsorientierten Schulentwicklung (WWSE®)).Sie ist als interkulturelle Trainerin und Beraterin tätig. 

Sebastian Felsner begleitete das Modellprojekt Demokratische Schule des Kreisjugendring Dachau im Rahmen seiner über fünfjährigen Tätigkeit beim Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV e.V.) von Anfang an. Felsner ist gegenwärtig als Projektleitung im Bereich BNE und Klimaschutz an der Stabsstelle Kommunales Bildungsmanagement beim Pädagogischen Institut – Zentrum für Kommunales Bildungsmanagementder Landeshauptstadt München, als Lehrbeauftragter für Pädagogik am Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung (Prof. Dr. Bernhard Schmidt-Hertha) der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie als ADTV-Tanzlehrer in der TWS Tanz GmbHin München tätig. Felsner ist studierter Soziologe (B.A., M.A.) und Pädagoge (M.A.).  

Im Bild sieht man ein Portrait von Sabine Mühlich.<br />
Sie ist eine weiße Frau mit blonden Haaren und einem Pony. Sie lächelt breit in die Kamera
Im Bild sieht man Sebastian Felsner.<br />
Er ist ein weißer Mann mit lila gefärbten Haaren und einer Brille. Er lächelt in die Kamera.</p>
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Bitte stellen Sie uns doch gern zuerst Ihre Arbeit im Hinblick auf das Thema "Bildung und Migrationsgesellschaft" dar.

Der Kreisjugendring (KJR) Dachau setzt sich im Rahmen seiner Tätigkeit im Bereich der Jugendarbeit sowie in den Bereichen Schule und Ganztag (Modellprojekt Demokratische Schule) stark mit der Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in ihrem Sozialraum (insbesondere Dachau und Karlsfeld) auseinander. Durch die systematische Förderung jugendpolitischen Engagements sowie einer parallel stattfindenden intensiven Begleitung und Mitgestaltung von Grund- und Mittelschulen im Rahmen einer partizipativen Schulentwicklung und Ganztagsbildung erreicht der KRJ Dachau mit seinem integrativen Ansatz alle Kinder und ganz besonders Kinder und Jugendliche mit Migrationsgeschichte und ermöglicht diesen nicht nur eine soziale, sondern auch eine politische Teilhabe in der Kommune. In unserer Migrationsgesellschaft wird durch die Arbeit des KJR Dachau Demokratie vor Ort gelebt, in der Schule eingeübt und schließlich eine Brücke zwischen den häufig weniger divers geprägten kommunalpolitischen Akteuren und den Kindern und Jugendlichen mit Migrationsgeschichte gebaut. 

Was für eine Schlüsselrolle hat Bildung für mehr Chancengerechtigkeit? 

Bildung kann einen sehr wichtigen Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit leisten, wenn Bildungsprozesse so gestaltet werden, dass diese auch weniger privilegierte Familien und ihre Kinder erreichen und diese gezielt unterstützen. Diese Förderung sollte jedoch bereits vor der Einschulung beginnen und sich nicht nur auf die sogenannten „Basiskompetenzen“ (Lesen, Schreiben, Rechnen) beschränken. Chancen sind dann gerecht verteilt, wenn sie nicht von der sozialen Herkunft abhängig sind. Deutschland schneidet hier im internationalen Vergleich seit Jahrzehnten bekanntlich besonders schlecht ab. Dieser Zusammenhang lässt sich jedoch nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen, sondern ist das Ergebnis einer Anhäufung zahlreicher milieuspezifischer Sozialisations- und Bildungserfahrungen bzw. -Nicht-Erfahrungen. Auch hier müssen Bildungsprozesse ansetzen, weshalb beispielsweise demokratische Vorläuferkompetenzen (z.B. sozial-emotionale Kompetenzen) bei entsprechenden Maßnahmen mitberücksichtigt werden müssen. Mit einem ganzheitlichen Bildungsansatz, gezielten kompensatorischen Maßnahmen für benachteiligte Familien, Kinder und Jugendliche von klein an und ausreichend Zeit (z.B. durch gezielte frühe Förderung und durch Ganztagsangebote) kann Bildung einen entscheidenden Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit und somit auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit leisten. Der Kreisjugendring Dachau leistet durch seine Angebote in und außerhalb von Schule einen wichtigen und wegweisenden Beitrag zur Integration. 

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Welche Kompetenzen/Ressourcen braucht die Schule in der Migrationsgesellschaft? 

In der Lehrkräftebildung wird das Thema soziale Ungleichheit leider kaum thematisiert, geschweige denn der pädagogische Umgang mit sozialer Ungleichheit. Hier bräuchte es in einem Bildungssystem, in dem der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg so ausgeprägt ist, wie in Deutschland, einen viel stärkeren Fokus. Nur wenn Lehr- und Fachkräfte die Wirkungsmechanismen sozialer Ungleichheit und einen konstruktiven Umgang damit kennen und erlernen, können benachteiligende und diskriminierende Praktiken, die in der Bildungspraxis an vielen Stellen existieren, verhindert werden. Exemplarisch sei hier das Konzept der Habitussensibilität genannt, das dabei helfen soll, Sensibilität für andere Lebenswelten und entsprechend passgenaue pädagogische Lösungsansätze zu entwickeln. Außerdem sind außerschulische Partner, wie beispielsweise die Jugendringe, eine große Bereicherung für das Bildungsangebot und ein wichtiges Bindeglied zwischen dem formalen Bildungssystem und außerschulischen kommunalen Strukturen. Deshalb braucht es an unterschiedlichen Stellen entsprechende Kompetenzen und ausreichend Ressourcen. Leider haben Maßnahmen, die herkunftsbezogenen Ungleichheiten entgegenwirken sollen – wie viele andere sinnvolle Maßnahmen im Bildungsbereich auch – häufig Projekt- oder Modellversuchscharakter uns sind somit auch zeitlich begrenzt. Es bräuchte für die erfolgreichen Projekte und Programme, wie dem Modellprojekt Demokratische Schule des Kreisjugendring Dachau, Optionen einer dauerhaften Finanzierung. 

Wie kann ein Schulentwicklungsprozess wirken bzw. die Schule ändern und für mehr Chancengerechtigkeit beitragen?  

Insbesondere partizipative Ansätze können in einer Schule enorm viel bewirken und zu mehr Chancengerechtigkeit beitragen, denn im Rahmen eines gut umgesetzten partizipativen Schulentwicklungsprozesses werden auch die Stimmen gehört und berücksichtigt, die sonst eher kein Gehör finden. Mit Ansätzen wie der „wahrnehmungs- und wertorientierten Schulentwicklung“ (WWSE®) kann bereits in der Grundschule gemeinsam mit der gesamten Schulfamilie ein Schulprogramm entwickelt werden, das die Bedürfnisse und Lebenswelten der Familien und Kinder konstruktiv aufgreift und somit durch passgenaue Konzepte und Lösungen vor Ort auch in Richtung mehr Chancengerechtigkeit wirken kann. Die Erfahrungen aus dem Modellprojekt Demokratische Schule des Kreisjugendring Dachau zeigen, dass es zielführend ist, verschiedene Elemente einer demokratischen Schule miteinander zu kombinieren und zu verschränken und hierbei auch Verbindungen zu kommunalen kinder- und jugendpolitischen Strukturen herzustellen, um eine Wirkung von der Schule bis in den Sozialraum zu entfalten. In der Schule können Kinder und Jugendliche beispielsweise durch den Klassenrat und die SMV gezielt in Gremien der Schulentwicklung, wie Klassensprecher:innen– und Schulversammlungen oder Schulforum oder Schulparlament, hineinwirken und so Veränderungsprozesse an der Schule ‚von unten‘ voranbringen. Auch auf der Unterrichtsebene können sich dadurch Veränderungen ergeben. Voraussetzung ist jedoch, dass die Schulleitungen und Lehrkräfte bereit für einen solchen Prozess sind und dass die Schüler:innen beispielsweise im Rahmen von Projekttagen auf diese verantwortungsvolle Arbeit gezielt vorbereitet werden.