Die Geschichte zur Veranstaltung

Einmal im Monat veranstalten wir bei uns im Büro einen „Democracy & Diversity Talk“. Wir besprechen dort Themen, die in unserem Arbeitsalltag oft zu kurz kommen, aber für die Qualität unserer Arbeit enorm wichtig sind. Anfang des Jahres haben wir das Thema „Wie spreche ich mit Kindern über Rassismus“ besprochen. Dabei kam die Frage auf, wie spreche ich eigentlich als Lehrkraft ein so komplexes Thema wie Rassismus in einer Klasse an? Was sollte ich als Lehrkraft mitbedenken, wenn ich ein Thema in der Klasse bespreche, das alle unterschiedliche betrifft? Und das Ganze im Klassenzimmer, einem halböffentlichen Raum, der niemals für alle Anwesenden gleichzeitig ein Schutzraum sein kann. Wie kann Diskriminierung thematisiert, Empowerment gefördert und Partizipation gleichzeitig gestärkt werden? Und plötzlich war da das Thema für unsere Fachveranstaltung 2022:

Wie spreche ich mit Schüler*innen über Diskriminierung?

Und weil wir alleine keine Antworten auf diese Fragen finden können, haben wir uns vier Referent*innen eingeladen, um gemeinsam zu überlegen und zu diskutieren.

Unsere Referent*innen

Nicole Schweiß & Christina Schreck

Nicole Schweiß & Christina Schreck vom „Kleine Pause. Begegnungen in der Teeküche“-Podcast, haben dazu eingeladen, über das Thema Intersektionalität und Diskriminierung nach- und mitzudenken. In ihrer Breakoutsession wurde das Thema “Situiertes Handeln. Von welchen Standorten sprechen wir? Welche Macht haben wir?” aufgegriffen und in der Kleingruppe tiefergehend behandelt.

Tebogo Niminde-Dundadengar

Tebogo Niminde-Dundadengar, Autorin und Mitbegründerin von Tebalou, einem Onlineshop, der Spielwaren für mehr Vielfalt in Kinderzimmern anbietet, hat den dritten Impulsvortrag gehalten. In einem kurzen und prägnanten Input hat sie aufgezeigt, wie Kinder Rassismus erlernen und dabei verdeutlicht, dass schon Kleinkinder Rassismus über viele verschiedene Ebenen wie Bücher, Film & Fernsehen erlernen.  Zum Thema „Rassismusrelevante Momente im Raum Schule! Austausch zu Best-Practice“ hat sie zum vertiefenden Austausch in ihre Breakoutsession eingeladen. 

Yelyselev Valerio

Yelyselev Valerio dazu, Schülerin und Aktivistin, die sich u.a. für Empowerment gegen Rassismus gegen Rrom*nja und Sint*izze einsetzt.

Lina Lachmann

Unsere zweite Referentin war Lina Lachmann, die sich für eine menschenrechtsbasierte Behindertenpolitik einsetzt und Beraterin mit dem Schwerpunkt „Antidiskriminierungsberatung“ ist. Ihr Impulsvortrag mit dem Titel „Ohne Angst verschieden sein“ hat eine klare Botschaft: Behindert ist man nicht, behindert wird man. In ihrer Breakoutsession wurde den Fragen: “Was macht Sprache aus in Bezug auf Ableism? Was sind resiliente Reaktionen auf eine Welt, die behindert?“ nachgegangen. 

Sannik Dehler

Sannik Dehler, u.a. Autor des Buchs „Scham umarmen. Wie mit Privilegien und Diskriminierungen umgehen?“ hat im Impulsvortrag „Es ist einfach wie ein großes Puzzle…“ Einblicke in Sannniks aktuelle Forschung zur Situation von trans*, inter* und non-binären Jugendlichen im Kontext Schule gegeben. „Wie gelingt es pädagogischen Fachkräften verbündet zu handeln. Was hat sich als hilfreich erwiesen und was bräuchte es an (gegenseitiger) Unterstützung?“ war das Thema in Sanniks Breakoutsession, das besprochen und diskutiert wurde.

Wir danken besonders

Moderation

Als Moderatorin führte Hajdi Barz durch die Veranstaltung und bereicherte mit ihrem kritischen Blick auf die Themen den Abend. Sie arbeitet u.a. Bildungsreferentin, ist langjähriges Mitglied der IniRromnja und publiziert zu den Themen Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja, Empowerment und rassismuskritische Didaktik und Standards.

Dokumentation

Veranstaltungsrückblick

Als die Podiumsdiskussion immer näher rückte, sind wir über unsere eigene adultistische Herangehensweise gestolpert. Wir hatten eine Veranstaltung zum Thema “wie mit Schüler*innen über Diskriminierung sprechen” geplant, ohne eine*n einzige*n Schüler*in einzuladen. Umso dankbarer sind wir der Schülerin und Aktivistin Yelyselev Valerio, die sich u.a. für Empowerment gegen Rassismus gegen Rom:nja und Sinti*zze einsetzt, dass sie so kurzfristig zugesagt hat, zur Abschlussdiskussion dazuzukommen und sie durch ihre Perspektive als Schülerin zu ergänzen.  

Moderiert durch Hajdi Barz, haben wir am 22.09.2022 während der dreistündigen Veranstaltung Input und Impulse zu verschiedenen Diskriminierungsebenen erhalten, haben in Breakoutsessions diskutiert und Fragen gestellt und abschließend alles in einer Plenumsdiskussion zusammengetragen. Wie so oft bei spannenden Veranstaltungen, war die Zeit viel zu kurz und viele hätten sich vermutlich noch stundenlang austauschen und diskutieren können. Ein so großes Thema wie Diskriminierung, kann in drei Stunden natürlich nur oberflächlich behandelt und angekratzt werden. Dennoch haben wir, und wir denken, da können wir für die meisten Teilnehmenden sprechen, viele interessante Fragen, Impulse und Denkanstöße aus dieser Veranstaltung mit nachhause genommen.

„ .. denn diskriminierungskritische Haltung sollte nicht dem Zufall überlassen sein.“

„.. Wenn es das noch nicht gibt, dann müssen wir es eben machen.“

„Es ist so krass, wie Rassismus in der Gesellschaft verankert ist – wir brauchen radikale Ideen.“

„Es genügt nicht, diejenigen, die ausgeschlossen sind, wieder einzugliedern, sondern ihre Ausgrenzung muss verhindert werden.“

Empfehlungen oder Yes Go’s statt No Go’s

Nachdem in den Workshops über Positio­nierungen, Grenzen und Handlungsoptio­nen anregend diskutiert wurde, bot das ab­schließende Podiumsgespräch klare Stand­punkte, die sich aus Erfahrung, Wissen und der dazugehörigen analytischen Kompe­tenz zusammensetzte. Zu den bereits vor­gestellten Referent*innen kam nun Yelyselev Valerio, kurz Yely, hinzu, eine 16-jäh­rige Schülerin, die im feministischen Rom*nja-Archiv RomaniPhen arbeitet. Erst als Yely das Wort ergriff, wurde deutlich, wie sehr ihre Perspektive bislang gefehlt hatte: sowohl als von Rassismus betroffene Schülerin als auch als Engagierte im Verein, konnte sie wertvolle Anregungen zur Podi­umsdiskussion beitragen. Yely machte un­missverständlich klar, was die No Go’s in der diskriminierungskritischen Pädagogik seien: keine rassistischen Fremdbezeich­nungen und keine Beispiele aus der Schü­ler*innenschaft wählen, um einen Diskrimi­nierungsfall zu bearbeiten, um Fremdou­tings zu vermeiden.

Mit Achtungszeichen wurden die folgenden No Go’s aller Referent*innen ausgedrückt: Wenn mit Schüler*innen über Diskriminierung gesprochen werden soll, sei es ratsam, das Thema nicht unangekün­digt einzubringen, um Schüler*innen, die von diversen Diskriminierungen betroffen sind, weitere Verletzungen zu ersparen. Das Benutzen von betroffenen Schüler*innen, um weiße Kinder und Jugendliche für Ras­sismus zu sensibilisieren ist nicht nur res­pektlos, sondern reproduziert gleichwohl selbst Rassismus. Und wenn die Verletzung bereits passiert ist, dann sollte keineswegs ein „Das war nicht so gemeint“, sondern eine laute und deutliche Entschuldigung ausgesprochen werden.

Welche Empfehlungen, also „Yes Go’s“, können von der Podiumsdiskus­sion in verschiedene pädagogische Fachbe­reiche mitgenommen werden? Die Schnitt­stelle aller vorhandenen Perspektiven auf dem Podium lautet: Beim Thema Diskrimi­nierung muss jede einzelne Person bei sich selbst anfangen, einerseits, um Machtver­hältnisse aufzuzeigen und andererseits, um diese zu verändern. Privilegien sollten the­matisiert und gleichzeitig Gespräche dazu geführt werden, wie diese für mehr Gerech­tigkeit sowie für den Abbau von Barrieren und Hass eingesetzt werden können. So­lange in den Schulgesetzen noch keine An­tidiskriminierungsklauseln festgeschrieben sind, kann ein internes Leitbild Abhilfe schaffen. Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte sollten lernen, keine Angst vor Unwissen zu haben und dieses transparent zu gestalten. Wichtig in jedem Fall ist es, das Vertrauen der Schüler*innen zu gewin­nen. Dies kann auch erzielt werden, indem Lehrkräfte sich Zeit dafür nehmen, auch über Diskriminierung zu sprechen.

Stellung beziehen, Verbündete su­chen, eigene Grenzen kennen und Jugend­liche empowern – das alles kann dabei hel­fen, pädagogisches Handeln weiterhin als politisches Handeln zu leben. Denn dies ist das Fundament für jeglichen Handlungs­spielraum, um systematisch und nachhaltig gegen Diskriminierung an Schulen vorzu­gehen. Wichtig ist zu bedenken, dass es bei all dem Reflektieren unumgänglich ist, die Autonomie und Partizipation der Schü­ler*innen nicht nur zu wahren, sondern auch zu fördern. Yely findet abschließend klare Worte: „Schüler*innen sollten sich un­ter sich austauschen können. Sie sollten im Vertrauen untereinander darüber reden können, wie sie sich besser fühlen können: Wie kann ich mich sicher fühlen? Was mag ich nicht, was verletzt mich?“ Es sind Räume, die Pädagog*innen als empowerndes In­strument öffnen sollten, in denen Verlet­zungen ernst genommen und Widerstand erprobt wird.

Veranstalterin 

Die Veranstaltung wird organisiert vom DeGeDe Teilbereich Diskriminierungskritische Schulentwicklung im Rahmen des „Kompetenznetzwerks – Demokratiebildung im Jugendalter“. Das „Kompetenznetzwerk – Demokratiebildung im Jugendalter“ wird im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert und stärkt die schulische und außerschulische Praxis bei der Umsetzung von kooperativer und partizipativer Demokratiebildung sowie den Ausbau und die Verstetigung von Kooperationen im Bereich Demokratiebildung von schulischen und außerschulischen Akteur*innen.